Wenn wir hier von einem Neubeginn in Reichesdorf berichten wollen, muß nochmals kurz der traurigste Zeitabschnitt, der nach dem 23. August 1944 folgte, angesprochen werden um die Lage zu erklären.
Durch den Frontenwechsel Rumäniens im August 1944, waren aus den deutschen
Verbündeten Feinde geworden, und die deutsche Bevölkerung Siebenbürgens und des
Banates zählte gleich auch dazu. Die Folge war die Enteignung des Besitzes und die
Aberkennung der bürgerlichen Rechte. Für die Dorfbewohner, also auch für uns
Reichesdorfer, bedeutete die Enteignung des Grundbesitzes und der Häuser den Entzug der
Lebensgrundlage. Aus stolzen Bauern waren Tagelöhner geworden, die ums Überleben
kämpfen mußten. Die ersten fünf Jahre waren besonders schwer. Nach der Gründung der
Staatswirtschaft 1949 und der Kollektivwirtschaft 1950 gab es bessere
Verdienstmöglichkeiten, und arbeitsscheu waren unsere Reichesdorfer nicht. Ein Großteil der Landsleute
wurde in diese Wirtschaften aufgenommen, um mit ihrem Können und Fleiß den durch die
Agrarreform geschaffenen Neubauern unter die Arme zu greifen. Durch Sachkenntnis und
Pflichtbewußtsein haben viele von ihnen es geschafft, leitende Stellungen auf dem Staatsgut
und in der Kollektivwirtschaft zu bekleiden. Es war ein Neubeginn, es ging langsam wieder
aufwärts. Nach Rückerstattung der Höfe im Jahre 1956 und Anerkennung als nationale
Minderheit kam langsam wieder etwas Hoffnung und Lebensfreude auf, wenn auch der
frühere Bauernstolz endgültig gebrochen war. Die rückerstatteten vernachlässigten Häuser
wurden wieder hergestellt. Reichesdorf erhielt erneut ein sächsisches Gesicht. Man hatte wieder
Mut, sein Können zu zeigen, und sich wie früher zu unterhalten. So wurde, dank des
Einsatzes einiger beherzter Landsleute, auch die Kulturtätigkeit wieder aufgenommen.
Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Sophie und Georg
Lassner, die mit viel Einsatz und Können das Kulturleben damals in Reichesdorf gestaltet
und geleitet haben.
Wer könnte uns darüber mehr sagen, als die Leiterin selbst. Aus diesem Grunde lassen wir
hier Frau Sophie Lassner zu Wort kommen und geben ihre Aufzeichnungen über die
kulturelle Leistung in Reichesdorf in der Zeitspanne 1953-1986 wieder:
Vieles geht mir in diesem Augenblick durch den Kopf, Erinnerungen werden wach, Schweres,
Schönes, Wahres, Gutes, Demütigendes stellt sich ein und läßt mich nicht die rechten Worte
finden. Doch ich will mit denen eines griechischen Philosophen beginnen, der vor zwei
Jahrtausenden lebte und folgendes gesagt hat: "Der Krieg ist der Vater aller Dinge." Er
meinte wohl, daß alle Veränderungen in dieser Welt durch Kriege hervorgerufen werden und
daß der Krieg die Menschen veranlaßt, alle wichtigen Entdeckungen und Erfindungen zu
machen. Jeder Fortschritt geht letzten Endes auf den Krieg zurück, meinte er. Denken wir an
diesen zweiten Weltkrieg, der nicht nur die Landkarte von Europa veränderte, er griff auch
tief in das Leben der Völker ein und somit auch in unser Leben in Reichesdorf. Er brachte
über ungezählte Familien Not, Trennung, Leid, Tod und für alle auch wirtschaftlich große
Veränderungen. Wir merken, daß ein Körnchen Wahrheit in dem Wort des alten Griechen
liegt.
Aber auch einzelne Menschen können Macht ausüben und dadurch andere knechten, sie
ihrer Freiheit berauben und zwingen, das zu tun, was sie, die Mächtigen, wollen. Wir haben
es hautnah erlebt, daß Millionen Menschen, wenn der eine es wollte und wünschte, jubelten
und Glück und Freude vortäuschten, wo sie vor Wut innerlich brannten und tief traurig
waren. Wir haben es erlebt, wie Menschen gezwungen wurden, statt der Wahrheit die Lüge
zu sagen, weil die Vorgesetzten diese hören wollten. Wir haben es erlebt, wie Menschen
gezwungen wurden, ihren Acker, ihr Vieh, die Weingärten und landwirtschaftliche Geräte
freiwillig der Kollektivwirtschaft zu bringen und noch schön zu bitten, daß man sie dort
annehme. Und niemand konnte etwas dagegen tun.
Zu der Zeit hatte man auch in Reichesdorf den Eindruck, daß wirklich nur Macht etwas in
dieser Welt verändern könne. Aber Macht bringt immer Blut und Tränen, vergewaltigt
Menschen innerlich, bringt Schmerzen, Not und Elend.
Damals war es nicht immer leicht, die eigene Schwelle zu überspringen und das
Gemeinsame zu finden. Es war nicht immer leicht, den Aussichten und den Ansichten ent-
sprechend so zu handeln, daß die täglichen Probleme gelöst werden konnten, ohne dem
Gemeinwesen dabei zu schaden. Die Form des vertrauten Miteinander und Füreinander mag
sich im Laufe dieser Jahre auch in Reichesdorf etwas geändert haben. Im Grunde ihres
Herzens aber blieben sie "treu dem Alten", trotz des sich wandelnden Umfeldes und der
neuen Gegebenheiten. Die Einsatzfreudigkeit auf allen Gebieten der Kultur, auch wenn es
manche Demütigung gab, war ungebrochen. Die sozialpolitische Lage und die
wirtschaftlichen Ereignisse habe ich noch deutlich in Erinnerung. Die Staatswirtschaft, Tovarasie,
Kollektivwirtschaft öffneten ihre Tore und kamen in den ersten Jahren schnell voran - sie hat-
ten mit den Reserven der enteigneten Bevölkerung einen guten Anlauf genommen, und der
Start war ihnen leicht. Dann mußten die " neuen Bauern" aber die Realität bald erkennen
und sich daran gewöhnen, daß alles erarbeitet sein will. Der Überlebenskampf begann für
die Enteigneten und schonte die nicht, die sich ihres Besitzes bemächtigt hatten. Aber es
waren die Sachsen, die sich in ihrer Mittellosigkeit neu orientierten und mit Zähigkeit
erfolgreich durchsetzten.
So konnte auch der kulturelle Aufschwung nach einigen Jahren der Demütigung ungefähr
mit 1953 wieder bescheidene Formen annehmen.
Die erreichte Gleichberechtigung beruhte auf der scheinbaren Einordnung der deutschen
Bevölkerung in den Rahmen der Gesetze des kommunistischen Staates und deren
Durchführung. Deutsches Kulturleben, deutsche Vereine, Veranstaltungen, Bälle,
Kronenfeste, Mütterberatungen, Bruderschaft und Schwesterschaft usw. waren unter den
politischen Vorzeichen der herrschenden Ideologie schwer möglich. Beim Aufstellen der
Programmpunkte für ein Fest mußte das "Kind" unter dem Druck von außen oft umgetauft
werden. Es brauchte einen unverfänglichen Namen. Die Reichesdorfer verstanden es, ihre
Vorhaben geschickt zu tarnen, trotzdem sie sich der Risiken, denen sie sich aussetzten,
bewußt waren. Sie verfügten über Diplomatie, das nötige Selbstbewußtsein und waren bei all
ihrem Tun zuverlässig. Es bereitete ihnen Freude, ihre Ideen zu verwirklichen; sie legten
dabei viel Eifer und Hingabe an den Tag und waren nach gelungenen Darbietungen stolz,
damit auch etwas für ihr Reichesdorf getan zu haben.
Es mag wohl banal klingen, aber ein Lehrer kann das Salz des Dorfes sein. Nicht nur weil
er sich um das Schulwesen, die Kulturtätigkeit und vieles mehr kümmert, sondern weil er
immer da ist, wenn man einen guten Rat braucht. Die Reichesdorfer wußten dies zu schätzen, denn einen guten Rat haben sie alle, bei Gott, in jener Zeit auch gebraucht.
Wer schwer arbeitet, sehnt sich nach Geselligkeit, nach einem Anlaß, des Tages Mühen und
Sorgen für einige Stunden zu vergessen, abzuschalten und miteinander Gedanken
auszutauschen. Die Notwendigkeit solche Gelegenheiten zu schaffen, die Bedürfnisse der Leute,
zusammenzukommen und gemeinsam zu feiern, erkannten die Lehrer und auch die
Reichesdorfer, die schon seit ältester Zeit zu den kulturbegeisterten Menschen zählen.
Die Reichesdorfer im Überlebenskampf zu unterstützen, die Probleme der Nachkriegsjahre
in den Griff zu bekommen, die Menschen zum gemeinsamen kulturellen Schaffen zu
begeistern und heranzuziehen, zu retten, was noch zu retten war, galt für alle Lehrer, neben der
hauptberuflichen Tätigkeit, als ihre moralische Pflicht: Als Krankenschwester, Mitglied im
Exekutivkommitee und Vizebürgermeisterin war es mir vergönnt, meinen Einfluß, mein
Wissen und Können stets hilfreich für die Bevölkerung in Reichesdorf einzusetzen.
Zusammen mit meinem Mann Georg Lassner (Lehrer, Schulrektor, Kulturheimdirektor) und
den Schulkollegen und -kolleginnen, Lehrer Ziegler, Schmidt Alfred, Gernot Wagner, Traute
Wegendt, Erna Kloos-Wachsmann, Hanni Schuster, Heidemarie Stolz und Renate Maiterth
bildeten wir eine Einheit, die der deutsch-sächsischen Bevölkerung in einem Land mit einer
fremden Ideologie Weg und Richtung vorgab. Diese Menschen waren gewappnet mit Wissen,
beruflicher Ausbildung und Durchschlagskraft und waren fähig und gewillt, die Probleme
gemeinsam anzugehen und zu lösen.
In den ersten Jahren der Nachkriegszeit litten die Programmgestalter besonders unter dem
Zwang der Zensur. Das Kulturkommitee in Kronstadt, nach 1968 in Hermannstadt,
verlangte, daß für jede noch so kleine Veranstaltung eine Genehmigung eingeholt werde. So mußte
das Programm oft in rumänischer Übersetzung rechtzeitig eingeschickt und von den
jeweiligen Zensurbehörden unterzeichnet werden. Bei den Theaterstücken sollte man beim
Umschreiben der Inhalte besonders vorsichtig sein, denn es konnte sein, daß die Texte nicht
ganz in die sozialistische Ideologie paßten. Die Veranstalter setzten sich dadurch jedesmal
einem großen Risiko aus. Doch wer sich dazu berufen fühlte, deutsch-sächsisches Kulturgut
zu retten, zu fördern und der Bevölkerung zugänglich zu machen, der ließ sich nicht so
schnell verdrießen. Die Autoren oder couragierten Theatergruppenleiter strichen
unerwünschte Stellen im Stück oder schrieben sie ganz um, so daß sie "salonfähig" wurden. Die
einmal genehmigten Stücke, Theater oder Lieder, kulturelle Vorträge oder andere Beiträge
wurden weitergereicht an andere Kollegen, andererseits erhielten wir auf gleiche Art und
Weise Neues aus anderen Ortschaften. So half man sich aus, und hatte dabei das gute Gefühl,
für die Menschen und unsere Kultur etwas getan zu haben. Das Durchsehen der vielen
Programmvorlagen in den Wintermonaten war immer mühsam und mit viel Arbeitsaufwand
verbunden.
Im Kultur- und Brauchtumsleben unserer Gemeinde Reichesdorf gab es jahraus, jahrein
verschiedene Höhepunkte. Im Februar feierten die Nachbarschaften ihr Nachbarschaftsfest.
Während ich mich daran erinnere, muß ich auch an eine besondere Begebenheit denken:
Damals gab es in Reichesdorf noch keine Gehsteige. Tiefer Morast lag auf den Straßen,
wenn es im Februar mildes Wetter gab. Die ersten Gehsteige sollten gefertigt werden. Jede
Nachbarschaft wollte bei dieser Arbeit die erste sein, um mit sauberen Schuhen zu den
gemeinsamen Festen kommen zu können. Da ging es nun ganz toll zu in diesem Wettbewerb.
Um Streit zu vermeiden, sagten die Hirschtaler: " Wir bauen ein Schiff, fahren damit durch
den Ort und werben so für unseren Gehsteig im Hirschtal." Mit großer Freude und
Zustimmung war alt und jung dabei, das Schiff auf einem Wagen aufzubauen, den ein Traktor
(Trekker) ziehen sollte. An dem bestimmten " Fuesnichtmorjen" bewegte sich die "Arche"
langsam durch das Dorf. Aus dem hohen Schlot stieg Rauch auf, lautes Tuten war zu hören,
dazwischen Gesang und fröhliche Stimmen. Die Segel und die kleinen Fähnchen flatterten
lustig im Wind. Erst beim Näherkommen verstanden die Menschen auf der Straße, was sie
da sahen: Auf einem Wagen ein aufgebautes Schiff, gezogen von einem Traktor mit der
Aufschrift "HIRSCHTALER NACHBARSCHAFT 1967". Sie waren als Schiffsmannschaft
verkleidet und in fröhlicher Stimmung, während der Fuhrmann ins Horn blies und die
Schiffssirene fleißig betätigte.
Die Hirschtaler hatten die Notwendigkeit eines Gehsteiges deutlich gemacht, hatten gesiegt
und konnten bis zum frühen Morgen lustig sein. "Laßt uns mit dem Gehsteig im Hirschtal
beginnen", meinten die anderen Nachbarschaften. Und so geschah es auch.
Trotz der politisch ernsten Lage in der Gemeinde wollten auch die Kinder zu ihrem Recht
kommen und ihre "Kinderfuesnicht", in Reichesdorf heißt es "Kinderblasi", feiern. Die
Lehrer und Kindergärtnerinnen (Ilse Zimmermann, Hanni Schuster, Heidemarie Stolz)
hatten genügend Erfahrung, dies Kinderfest schön zu gestalten. Manchmal war es schwer und
problematisch, weil die rumänischen Kinder oft auch dabei sein mußten. Die rumänischen
Lehrer waren uns zum Teil gut gesinnt, aber es gab auch solche, die es nicht gerne sahen,
wenn etwas gut organisiert, gelungen und schön war. Auf die althergebrachte Tradition woll-
ten die Reichesdorfer auf keinen Fall verzichten. Auch wenn nicht alles so ruhig und
harmonisch verlief, wie sie es von früher her kannten, so hatten Eltern, Großeltem und Freunde
doch ihre Freude daran, die Kinder lustig tanzen oder spielen zu sehen. Immer gab es auch
kleine, humorvolle Einlagen von Kindern und Lehrern, die zur Gemütlichkeit beitrugen. Es
war Tradition, daß die eigenen Bläser, die Adjuvanten, zum Tanze der Kinder aufspielten.
Dafür durften sie sich aus den mit Reichesdorfer Spezialitäten und Getränken gefüllten
bunten Körben der Kinder bedienen. Es war eine Freude zuzusehen, wie alt und jung das Fest
genossen.
Kronenfest Aufmarsch
zum Kronenfest Trachtengruppe
beim Bändertanz Jugend
in Reichesdorfer Tracht
Es war schwierig, für die Veranstaltung eine Genehmigung zu bekommen. Das Kind mußte
umgetauft werden, weil die Oberhäupter der Partei keine Krone wollten. Nachdem sie den
König mit der Krone verjagt hatten, sollte sie nichts mehr daran erinnern. So wurde aus der
Peter- und Paulskrone eine Blumenkrone oder eine Erntekrone, wenn eine Genehmigung
beantragt und unterzeichnet wurde. Dieses kleine unterzeichnete und gestempelte Papier
war die Voraussetzung für ein gutes Gelingen des Festes. Unsere Jungen und Mädchen
wußten Jedesmal Bescheid über die notwendige Umformulierung, waren treu und zuverlässig und
konnten aus diesen Erfahrungen lernen, sich auch in schwierigen Situationen
zurechtzufinden. Nur auf diese Weise konnten die vielen Proben zustande kommen und Freude bereiten
Trotzdem wurde alles immer schwieriger, weil ein Großteil der jungen Männer und Frauen
nach der Enteignung im eigenen Ort keine Arbeit fand und in den benachbarten Städten wie
Mediasch, Elisabethstadt und Kleinkopisch ihren Unterhalt sichern mußten. Die Verbindung
zu ihrem Heimatort aber wollten sie nicht aufgeben. So konnten die Chor- und auch die
Musikproben an Feierabenden mit den Adjuvanten weiterhin abgehalten werden und es wur-
den sogar Volkstänze einstudiert.
Die jungen Akkordeonspieler, die Rektor Georg Lassner unterrichtete, waren stolz darauf
wenn ihre Darbietungen gut ausfielen. Einer von ihnen war Schaas Ernst. Er wollte es beim
Kronenfest versuchen, den hohen Stamm hinaufzuklettern. "Wird er es schaffen?"' hörte
man jemanden aus der Menge der Teilnehmer fragen. Im Nu hatte er sein Akkordeon
weggelegt, sich umgezogen, um in Jeans und Gummistiefeln den Versuch zu wagen. Und dann
ging es reibungslos, fast in einem Atemzug war er oben. Nach einer kleinen Verschnaufpause
konnte er eine gute Rede halten, in seiner Reichesdorfer Mundart (Muttersprache) natürlich
Vorsichtshalber mußten auch einige
Worte an die Partei gerichtet werden, von der man bei nächster
Gelegenheit wieder eine Erlaubnis
brauchte. Als Belohnung für die
sportliche Leistung, das war so
Brauch, bekam der Junge von den
Mädeln ein Körbchen mit Wein und
Reichesdorfer Backspezialitäten.
Der Applaus gehörte dann auch ihm.
Inzwischen erklang die Musik zum
Aufmarsch für den Bändertanz, der
immer eine Augenweide war.
Er hat es gewagt! Wird er es schaffen?
Das Kultur- und Brauchtumsleben in
unserer Gemeinde zog sich wie ein
roter Faden durch das ganze Jahr.
Immer wieder gab es aber
Menschen, die versuchten, den friedlichen Bewohnern ins Handwerk zu
pfuschen. Doch diese ließen sich ihre
Art, die Feste zu feiern, wie sie
kamen, nicht leicht nehmen, so z.B.
den Frauenball, der in den
Wintermonaten abgehalten wurde.
"Mit oder ohne Mustergatte", hieß
es, "auf zum Frauenball!" Das kleine Theaterstückchen "Der Mustergatte", der Auftakt zum Fest, löste
manche Lachsalve aus.
Der gemischte Chor von Frauen und Männern mit wunderbaren Stimmen, dirigiert von
Georg Lassner, erfrischte mit deutschen und sächsischen Liedern. Musik und Liedgut wurde
gepflegt und gefördert. Auch wenn wir oft in das Repertoire einige rumänische Lieder und
Texte einflechten mußten (auch singen mußten), war es immer eine Taktik der Chorleiter und
Veranstalter, auf diese Weise deutsch-sächsisches Brauchtum zu erhalten. Die vielen
schmucken Trachten, die begeisterten Menschen dabeizuhaben, ließen uns alle miteinander
fröhlich sein und so manches dafür in Kauf nehmen.
Im Theaterstück "Ich will Ballkönigin werden" hatte das Paar Käthe und Horst Meyndt
(auch im Leben verheiratet) großen Erfolg. Sie wurden von Regine Offner unterstützt, die als
"Marie present" bei offener Bühne anhaltenden Beifall erntete. Es war ein köstliches
Vorspiel zu einem, nur auf der Bühne, ins Wasser gefallenen Ball.
Wer als Gast nach Reichesdorf gekommen war, der bewunderte zunächst den gepflegten,
geräumigen und geschmackvoll geschmückten Saal. Die Reichesdorfer verstanden es sehr
gut, den frischrenovierten Raum mit ihren vielen sächsischen Stickereien zu schmücken.
Bewundernswert waren auch die Frauen in der adretten Kleidung, die von ihrer Volkstracht
abwich. An den weißen, spitzenbesetzten Netzhäubchen trugen sie zu besonderen Festtagen
zwei lange Seidenbänder (Flietschen). Zum Frauenball erschienen die Männer im weißen
Hemd mit schwarzer Hose, während sie zu anderen sächsischen Veranstaltungen ihre Tracht
mit schwarzbesticktem Hemd, buntbestickter Kravatte, Stiefeln und Stiefelhose anzogen.
Wenn dann um 24 Uhr die Mitternachtsglocken läuteten, die Leute sich kränzchenweise an
die Tische setzten, die Frauen aus ihren schmucken Körben ihr Reichesdorfer Gebäck auf-
warteten, die Männer vom besten eigenen Wein kredenzten, die Musik zart und leise ihre
Weisen für Herz und Gemüt in den Saal schickte, konnte man für einige Augenblicke
vergessen, was draußen war. Störenfriede waren immer irgendwo in der Nähe. Doch diese
gemeinsamen Feste, die Art wie gefeiert wurde, die beeindruckenden Reden, die genau um diese
Mittemachtsstunden die Herzen der Menschen erreichten, war das Geheimnis des
Überlebenskampfes in Reichesdorf. Ganz gleich, was für ein Fest es war, es verband und half uns,
die wir dasselbe Schicksal zu meistern hatten, die schweren Zeiten durchzustehen, und es ist
nicht verwunderlich, daß wir alle uns heute dieser harten Jahre doch immer wieder gerne
erinnern.
Das Theaterspielen war in den Programmen die Nummer eins in Reichesdorf, aber ein
geselliges Beisammensein ohne Musik, Tanz und Gesang war nicht vorstellbar. So kam es, daß
sich im Laufe der Jahre zwei Gruppen bildeten, die miteinander wetteiferten und zu einem
besonderen Auftrieb in der Kulturarbeit geführt haben. Aus taktischen Gründen versuchte
man ab und zu, auch eine rumänische Gruppe zu formieren. Dies hatte zur Folge, daß die
Zusammenarbeit mit den rumänischen Kollegen in einer lockereren Art erfolgen konnte. Die
verschiedenen Lieder, Tänze und Folkloreausstellungen wurden oft auch in zweisprachiger
Ausführung, deutsch-sächsisch und rumänisch, wiedergegeben. Der Erfolg war positiv - die
Kollegen lernten viel, vor allem wuchs das Vertrauen zur deutschen Bevölkerung. Die
deutschen Lehrer und Programmgestalter durften sich dadu
Reichesdorf feierte diesen alten sächsischen Brauch mit der atemberaubenden Ersteigung
des Kronenbaumes sehr gerne. Es war immer ein Fest, zu dem auch viele auswärtige
Freunde der Reichesdorfer gerne kamen. Diese Darbietung wollte sich keiner entgehen las-
sen. Die Vorbereitungen wurden meistens von der Jugend getroffen. Drei bis vier Tage war
die Jugend auf den Beinen, um die 19 m hohe Tanne ins Dorf zu bringen, die Grube
auszuheben und die Krone zu schmücken. Erfahrene Männer waren immer bereit, den Jungen beim
Aufstellen des Baumes Hilfe zu leisten. Auch die Mädels waren zugegen und halfen tüchtig
mit. Krone und Baum waren eine Einheit, die die Eintracht zwischen Jungen und Mädchen
symbolisierte.
Die Zusammenarbeit von Lehrern und den zuverlässigen Mitstreitern der deutschen
Bevölkerung bei der Kulturarbeit konnte gefördert und fortgesetzt werden. Man sollte nie
vergessen, mit wieviel Mut und Risiken die großartigen Darbietungen erkämpft werden
muß
ten. Die Winterabende der Landbevölkerung waren gut geeignet für Vorbereitung und
Aufführung. Der Vorschlag, eine lOOjährige Trachtenschau in Reichesdorf zu inszenieren,
wurde mit großer Begeisterung aufgenommen. Diejenigen, die dabei waren, erinnern sich
heute noch gerne daran. Hundert Jahre Reichesdorfer Trachtengeschehens gingen an die-
sem Abend über die Bühne. Arbeits- und Festtagskleidung der Bewohner beiderlei
Geschlechts und jeden Alters waren zu sehen. "Mät Fridden am Harzen uch en froadich
Gemät, hu sä den Doch uch de Arbet ugefongen", konnte man in Zeitungsartikeln des Blattes
"Die Woche" lesen.
Auch die alte Hochzeitsmode kam wieder voll zur Geltung: Frauen in ihren bunten Röcken,
den Puffärmelblusen, die weißen Schürzen, den genetzten weißen Häubchen; acht Paare,
jung und alt, mit der ältesten Tracht in Schnürschuhen, weitgefächertem Rock, gestickten
Schürzen, langärmeligen, mit Lochstickerei verzierten Hemdblusen, die von besonderer
Handfertigkeit zeugten. Die Krönung war die " Puppesich Häuf" mit den außergewöhnlichen
Spitzen, und dann war bis hin zu den Jeans viel anderes noch zu sehn.
Sophie Lassner und Horst Meynd stellten ein noch rüstiges Ehepaar mittleren Alters in
Arbeitskleidung dar. Keiner von den jungen Menschen wollte die Arbeitskleidung haben. Erst
als sich diese beiden entschlossen, die Arbeitstracht vorzuführen, war die Begeisterung voll
da. Sie kramten in den alten Truhen ihrer Vorfahren, die auf dem Aufboden gelagert waren.
Da mußte man staunen, was an wertvollen Kleidungsstücken, an überlieferter Tracht noch
vorhanden war. Damit war es möglich, die Trachten stilecht zu präsentieren.
Es war ein Querschnitt durch Jahrhunderte mit Alltagskluft und Sonntagsstaat. Mit
"Eissack" (Brotsack) und Hacke und entsprechend gekleidet, stellten die Paare, oder auch
einzelne Personen, die jeweils vor 100 Jahren getragene Tracht vor. Dazu kam noch ein
sächsischer Kommentar, den ich in Versen abgefaßt hatte. Hier einge Auszüge:
Anna Hügel und Susanna Wachsmann trugen die älteste Frauentracht von vor 100 Jahren
(gestickt in der Spitzenhaube die Jahreszahl 1887).
An older Zegt, viur longen Johren,
Sophia Lassner und Horst Meyndt stellten ein Ehepaar des vorigen Jahrhunderts vor.
An deser Truecht, da irr ha sät,
Letzteres sollte eine Anspielung auf die Bevölkerung in Birthälm sein, die sich immer für fei-
ner gehalten hatte und lieber mit dem Körbchen als mit dem "Eissack" zur Feldarbeit ging.
Hans Schuster und Hansgeorg Kloos machten ihre Sache als zwei jüngere Männer des vori-
gen Jahrhunderts sehr gut.
Uch mir Männer stohn net hoingder den Fräen zeräck.
Hanni Schuster, eine "geschlijerte" (gebockelte) junge Frau:
En hischen Owend, irr läv Frängt,
de stattlichst Menschen
än deser Truecht mir woren.
Ihrlich uch troa, tüchtich uch fleißich
schafften um Doch wä ärrer treißich.
Des Truecht, geschnegdert mät ijännen Hoingden,
em ku sä än villen Geminden foingden.
Des puppesich Häuv äs det hescht vun allem,.
ech hoffen, sä wid uch ech gefallen.
seng uch eas Olden ist gegongen.
Mät Fridden am Harzen uch enfroadich Gemät,
hun sä den Doch uch de Arbet ungefongen.
Sät mech nor un,
en noaen Schurz fiur de Arbet,
hun ech bekun.
Der Rechel, de Haa uch de Honnefreist,
eas Äschtällung zer Arbet ech domät beweist.
Ägesackt hun ech äm Eissack gor feng,
mät dem Zieker geng nor de Birtälmerän.
Dot segt em bä eas af den irschten Bläck.
Stiwel uch Hiusen wä ugegoßen,
det sachsesch Hemd gestickt uch geschloßen.
Det Halsdich (Kravatte) gestickt no sachsescher Uert,
de Farwen blo, weiß, riut - doch gunz zuert.
Der Hiuseremmen, der Gürtel ?,
dot äs eas klor,
mir seng doch sachsesch Männer, net wor?
zem Fest richen ech hegt allen de Hängt
und wänschen vill froadich Stangden.
Sät mech nor un, en geschlijert gang Frä
mät Fronsen ämt Hift gebangden.
De Krunzenhäuf sätzt fest, damät de Nolden holden,
esi wor et ängden bä Jangen uch bä Olden.
Det Schlijerdeach ämt Hift,
de Spitzen messen Sätzen,
Schlijernolden ? - dat em kom et glivt,
sä fänkeln wät Guld und blätzen.
Meng Klid, meng Schurz - des sachsesch Truecht,
huet ir se schiun bewangdert ?
Esi wor se äng, esi äs se hegt,
genä wä
Hescher noch wä en Kenengän äs
en Rechersdirfer jang Frä
gonz gewäß.
Dies war nur ein kleiner Bruchteil dieser Trachtenschau (1979 - 1980). Eine gelungene
Veranstaltung, die friedlich, ohne fremdsprachige Zwischenfälle, den Landsleuten fröhliche
Stunden bereitete und sie 100 Jahre Reichesdorf in Wort, Lied und Bild erleben ließ.
Das Vorbild der Alten hatte einen guten Einfluß auf unsere jungen Menschen, die bereit
waren, beim Brauchtum immer mitzumachen, und alle waren begeistert von den vielseitigen
Möglichkeiten, die sich im Laufe der Jahre ergaben.
So kam die junge Theatergruppe auch zum Zuge. Sie erklärte sich für das in sächsischer
Mundart geschriebene Stück "Seangtich am Ären" ("Sonntag in der Ernte") bereit. Es ist
ein Stück von dem bekannten Reichesdorfer Volksdichter Georg Meyndt. Viele junge Kräfte
dieser Gruppe waren Nachkommen des Dichters. Wunderbare Lieder, die das Leben in
Reichesdorf besangen, waren aus seiner Feder gekommen. Die jüngsten Burschen und
Mädchen, 17 Jugendliche (auch Minnitheatergruppe genannt) standen zum erstenmal auf
der Bühne. Das Stück sprach auch deshalb so an, weil der Autor in dieser Gemeinde gelebt
und gewirkt hatte. Nicht zuletzt war es das Verdienst der Jugendlichen, die die Zuschauer mit
ihrem sicheren Auftreten begeisterten.
"Sich selbst und anderen Freude bereiten", war die Devise der verschiedenen
Kulturgruppen, die in festen Händen der Lehrer und der vielen Mitarbeiter standen. Kleine
Gastspielreisen waren beliebt. So, wie die Reichesdorfer einmal hier einmal dort spielten
und musizierten, kamen andere nach Reichesdorf zu Besuch: die Sing- und Tanzgruppe aus
Großscheuern, die Blaskapelle des Mediascher Betriebes "Gaz metan", die Rosenauer
Stadtblaskapelle unter der Leitung von Gernot Wagner, der in den 50ger Jahren Lehrer in
Reichesdorf gewesen war.
Theateraufführung: Wer ist der Herr im Haus?
Theateraufführung: Die alte Kommode
Theateraufführung: Ich will Ballkönigin werden
Theateraufführung: Sonntagglocke, wie klingst du süß
Theateraufführung: Sonntag in der Erntezeit
Auch viele andere Gruppen fanden sich gerne ein: Das Hermannstädter Ensemble reiste
nach Reichesdorf wie auch die Abteilung des Staatstheaters, ja sogar das Temeswarer
Deutsche Staatstheater ließ auf seinen Siebenbürgen-Tournees unsere Gemeinde nicht
abseits liegen. Am Zibin und auch an der Bega waren die Reichesdorfer als dankbares
Publikum und freundliche, gute Gastgeber bekannt. Die ließen es sich nie nehmen, den
Gästen nach dem Konzert oder den Theatervorführungen einen Imbiß mit einem guten
Reichesdorfer Wein zu servieren. Man saß zusammen, erzählte, tauschte Erinnerungen aus,
spielte zum Tanz auf und sang gemeinsam Lieder. Zum Abschied, das ergab sich von selbst,
erklang das Siebenbürgerlied. Solche Begegnungen hatten es in sich: Freundschaften
wurden gepflegt, und das Gefühl des nationalen Zusammengehörens gab neuen Mut für den
harten Alltag.
In Reichesdorf ergänzen sich die Erfahrungen der älteren Generation mit der Begeisterung
der Jugend beispielhaft. Lehrer und Programmveranstalter nutzen dies, indem sie Reisen
unter dem Thema " Wir wollen unser Land kennenlernen (Sa ne cunoastem patria)
organisierten, ein Thema, das die Partei begrüßte und sie unser Vorhaben billigen ließ. So konnten
die Reichesdorfer Theaterspieler beider Gruppen im Laufe der Jahre viele Teile unseres
Landes sehen, erleben und bewundern. Die Schönheit der Westkarpaten, der Süd- und
Ostkarpaten, die Besonderheiten des Schwarzen Meeres, der vielen Städte und Gemeinden
Siebenbürgens. Theater-, Chor- und Konzertreisen sind bleibende Erinnerungen. Die Reisen
selbst waren ein zusätzlicher Applaus des Publikums von zu Hause und andernorts, sie bil-
deten eine Anerkennung für unsere Mühe.
Theateraufführung:
Wer ist der Herr im Haus?
Darsteller: Christine Alzner HNr.24, Heinrich Maiterth
HNr.290
Darsteller: Hans Schuster und Hans Kloos
Darsteller: Horst, Hanni und Anni
(Seangdichklök, wa kleunst tä seß)
(Seangdich äm Ären)