Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde!
Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott.
(Ps 31,6)
Dieses Wort, liebe Angehörige, haben Sie über die Anzeige vom Tod Ihres Bruders, Schwagers, Onkels und Cousin Johann Binder gesetzt. Der Glaube an die Treue Gottes und die Gewissheit der Erlösung bei IHM hat Sie dazu bewogen. Traurig waren Sie, wie eingeschränkt doch seine Wahrnehmung zuletzt gewesen ist, wie geschlagen er war, wie bedauernswert in seinem Dunkel, das die Krankheit über ihn gebreitet und mit dem sie Johann Binder immer mehr von allen Beziehungen und menschlichen Kontakten abgeschnitten hat.
„Vater, du hast mich erlöst…“ und wir denken an die letzten Jahre der fortschreitenden Krankheit und Behinderung, die Johann Binder auferlegt waren.
Wir wissen es ja nicht, aber vielleicht hat er ja doch in seinem innersten Bewusstsein teilgehabt an Ihrem Leben. Versuchen wir uns - nur einen Augenblick - einmal vorzustellen, was das heißt: Die Beschwerde, die Mühsal auch noch der kleinsten Verrichtungen, die uns Gesunden ganz selbstverständlich sind. Der ganze Tag ist vielleicht gefüllt mit der Suche nach einem Namen, einem Gedanken, die uns Gesunden einen kurzen Moment kostet. Seine letzten Jahre!
Am Abend der Wechsel vom Liegen im Licht zum Liegen im Dunkeln, um genau so einem nächsten Tag entgegenzuschlafen, wenn der Schlaf überhaupt kommen will. Und am Morgen dasselbe bis abends, und wieder und wieder, ohne Aussicht auf Veränderung, Tage und Tage, Wochen und Monate... Jahre. -
Wir ahnen nicht einmal, was das für den heißen mag, dem das grausame Geschick selbst auferlegt ist. Dabei war er doch sein Leben lang aktiv und geistig rege!
Geboren wurde er am 8. Mai 1939 in Petersdorf als dritter Sohn von Matthias und Katharina Binder. Da die Eltern auf dem Feld arbeiteten, wurde er mit seinen Brüdern von der Großmutter betreut. Sie lehrte ihn die ersten Schritte im Leben und im Glauben. Nach der Volksschule und der Mittelschule in Hermannstadt wollte er Lehrer werden und besuchte das Gymnasium in Mühlbach. Doch dann viel seine Entscheidung für das Theologische Institut in Hermannstadt. Nach seinem Vikariat in Malenkrog wurde er dort Pfarrer von 1962 bis 1970 und dann in Reichesdorf bis 1991. Noch heute sind ihm die Reichesdorfer dankbar für das, was er dort gewirkt hat. Nicht nur als Pfarrer. Auch als Organistenausbilder hat er sich in Mediasch hervorgetan. 1991 übersiedelte er nach Deutschland und fand eine Anstellung in Bensberg und in Puderbach, wonach er 1995 in Sinndorf zum Pfarrer gewählt wurde. 1999 ging er in den Ruhestand und zog nach Rösrath bis zu seinem Unfall im Juli 2003. Belastet mit einem Schädelhirntrauma kam er als Pflegefall hier ins Haus und konnte sich - eingeschränkt - noch verständlich machen. Seit 3 Jahren war dies auch nicht mehr möglich. Was konnte ihn noch erreichen? Wie kann ein so reges geistiges Leben so abrupt verfallen? Wir verstehen es nicht.
Was wir aber verstehen: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott. Es muss einer ja ein solches Leben gern beschließen! Es muss ja eine Erlösung sein, dem Gefängnis eines so schwer behinderten Körpers und Geistes zu entgehen! Diese Gedanken begreifen wir. Das ist nur zu verständlich!
Aber wie ist das mit dem Schluss dieses Wortes: „...du treuer Gott“? Das können wir nicht gleich mit solch einem Schicksal reimen! Das klingt sehr fragwürdig, ja, fast wie Hohn: „Herr, du treuer Gott“? Aber es ist kein Hohn! Es ist ganz ernst gemeint. Es ist die Wahrheit. Es ist unser Christenglaube, der sich da ausspricht: „Du treuer Gott“.
Dieser treue Gott hat sich in Jesus Christus offenbart und auch dem Sohn Gottes ist das Leiden nicht erspart geblieben. Im Garten Gethsemane hat er Blut und Wasser geschwitzt, um dem bevorstehenden Leiden zu entgehen. Und doch hat er sich ergeben in Gottes Willen. Und nach allem Leider, nach seiner Folter rief er kurz vor seinem Tode: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verstarb er. (Lk 23,46) So hat Johann Binder es empfunden: Jesus, dem er ein Leben lang gefolgt war, dem ist er nun auch nachgestorben.
Wenn wir das nun auch kaum begreifen, wenn wir nun auch kaum ahnen, was so eine Behinderung wie die von Johann Binder bedeuten mag, wird uns daran doch eines ganz deutlich: Wie sicher, wie stark und wie felsenfest gewiss muss seine Hoffnung gewesen sein, dass einmal alles überwunden ist, was ihm auferlegt war. Ohne Zweifel glaubte er: Einmal kommt der Tag an dem ich frei sein werde von meiner Bürde, die Ketten, die mich banden, fallen von mir ab, Kranke werden heil, Blinde sehend und Lahme gehen. Das glaubte er nicht, das wusste er!: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott!
Das ist die feste Verheißung Gottes in Jesus Christus, wie sie sich in Bibelworten ausspricht: "Ich lebe und ihr sollt auch leben.(Joh 14,19) Ich habe euch drüben eine Wohnung und ewige Freude zu schenken.(Joh 14,3) Einmal wird alles Leid nicht mehr sein, keine Schmerzen, keine Tränen, keine Krankheit und kein Tod. (Offb 21,4) Ich bin auferstanden - und ihr werdet auch auferstehen!" (Joh 11,25)
Dieses Versprechen Gottes gab Johann Binder, trotz seines Leidens und seiner Behinderung, die Kraft, die Ausdauer und die uns fast unbegreifliche Geduld bei Gott zu bleiben, bei ihm auszuhalten und an ihm festzuhalten - auch im allerschwersten Leiden: „...du erlöst mich, Herr, du treuer Gott!“ Und vielleicht hatte diese Kraft bei ihm ja das Gewand der Gnade: Dass er eben doch wenigstens nicht all sein Leid mit vollem Bewusstsein hat erfahren und durchgehen müssen.
Und dieses Versprechen stärkt auch die Angehörigen, die einen solchen Menschen pflegen, besuchen und bei ihm aushalten, Woche um Woche, Monat für Monat, Jahr um Jahr... Sie wissen: Einmal wird dieser mir so liebe Mensch erlöst sein, heimgehen und an einem guten, ewigen Leben teilhaben. Das schenkt die Ausdauer, erneuert ihre Liebe, die sich ja sonst verzehren müsste und hält sie bei der Treue zu dem Leidenden, der ihnen anvertraut sind. Dieses Versprechen tröstet auch die Trauernden, dass auch sie zu den Worten finden: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott.
Die Krankheit und die schwerer Behinderung haben ein Ende gefunden. Der treue Gott hat Johann Binder erlöst. ER hat seinen Geist in seine Hände genommen. Wir dürfen dankbar sein, dass Gott der Treue ist.
Amen.
Frank Müllenmeister. Pfr.