Draculand

Erzählt von Horst Rampelt

 

Kurz müssen sie sein und eng, die Röcke der Mädchen von Siebenbürgen. Und wenn sie mal Hosen tragen, dann müssen die schwarz sein und auch knalleng. Und die Schuhe? Hochhackig natürlich, sonst traut sich kaum ein Mädchen in Kronstadt oder Schäßburg vor die Tür.

Ach, wenn doch der alte Dracula einmal bei Tageslicht aus seiner Gruft fahren dürfte und sich mit uns zum "girls watching" in ein Straßencafè am Marktplatz von Hermannstadt setzen könnte. Er Würde sich beim Anblick der Grazien wohl nervös mit der Zunge über die geröteten Lippen und die scharfen Eckzähne fahren. Und vielleicht würde er auch endlich auf bessere Gedanken kommen, als andere Menschen in den Hals beißen und ihnen das Blut aussaugen zu wollen. "Ich bin richtig glücklich, dass die jungen Frauen sich heute so schick anziehen können", sagt Victoria Nitu, Musikdozentin und selber Mutter zweier Töchter im Kurzen-Röcken-und-engen-Hosen-Alter, die uns Hörzu-Reporter durch Transsylvanien begleitet.

"Zu Ceausescus Zeiten waren wir zu arm für Mode. Und heute können wir sie uns auch nur deshalb leisten, weil die Kleidung als günstige Secondhand-ware aus Deutschland kommt."

Das soll Draculas Land sein? Der Blick vom Rathausturm geht über die Dächer von Hermannstadt - Rumänisch Sibiu - über hügelige Felder bis hin zu den Karpaten, wo jenseits der Baumgrenze noch im Hochsommer Schnee liegt. 400 Jahre lang und länger hat die Sonne auf die Ziegel gebrannt, bis sie eine Farbe bekommen haben, wie wir sie aus der Toskana oder Umbrien kennen. Wie kann eine so alte Stadt nur so heiter wirken? Die Befestigungen gehen weit ins Mittelalter zurück, als deutsche Aussiedler die Stadt gegründet haben. Rechts die spätgotische evangelische Stadtpfarrkirche mit dem wunderschönen bunten Dach, daneben das barocke Schmuckstück von der katholischen Konkurrenz. Auf dem großen Marktplatz unten wurden vor 500 Jahren noch Hexen verbrannt, später Aufständische hingerichtet. Danach stand da nur noch der Käfig, in den, für alle Bürger sichtbar, die Suffköppe gesperrt wurden, die nachts zuvor lärmend durch die Stadt getorkelt waren. Heute stöckeln schicke Mädchen über das Kopfsteinpflaster, ein paar Kids amüsieren sich mit Bikes und Boards, und was die anderen da auf den Denkmalstufen alles rauchen, will man so genau lieber gar nicht wissen.


Die beiden Schäfer sind Brüder. Der Ältere, Gheorge, war mit seinen 23 Jahren schon beim Militär. Deshalb wohl hat er schon einige Tattoos mehr auf Brust und Armen als Nicu (21), der noch hin muss zu den Soldaten. Ungern geht er, denn als Schäfer sind die beiden im armen Rumänien privilegiert. Jedes Milchschaf liefert pro Tag 100 Gramm Milch, die die Vacarus-Brüder zu Käse verarbeiten. Die Schlachtlämmer werden in arabische Länder verkauft. Umgerechnet vier Mark bringen sie pro Kilo, und wenn es auf den Herbst zugeht, können es auch mal sechs Mark werden. 600 Tiere führen die beiden übers platte Weideland, und auf einen schar fen Pfiff bleibt die ganze Herde geschlossen und gehorsam stehen. Doluta, dem Schäferhund, haben die Männer einen Stock unters Halsband gebunden, damit ihn Wölfe und Bären nicht in die Kehle beißen können.

Das Gymnasium auf dem Berg hoch über dem Kleinstädtchen Schäßburg (Sighisoara) scheint die Qualen jahrhundertelangen Latein- und Mathematikpaukens förmlich durch seine Mauern zu schwitzen. Man hat den armen Kindern zu ihrem Trost schon im Jahr 1654 eine überdachte Treppe mit 320 Stufen vom Marktplatz hinauf zu ihrem Gymnasium gebaut. Auch wir steigen die Treppen hoch, ahnen, wie es drinnen riecht - nach ungelüfteien Klassenzimmern, nassen Jacken, Turnschuh - beuteln und altem Dielenöl - und bleiben lieber draußen.
Gleich neben der Schule, unterhalb der Bergkirche aus dem 13. Jahrhundert, liegt am Hang der deutsche Friedhof. Spatzen lärmen, aus der Stadt - das Altstadt-Ensemble gehört zum Welt- kulturerbe der Unesco - dringt Glockenläuten herauf, mal tutet ein Zug, oder die Hähne krähen. Die Toten hießen Schuller, Teutsch oder Graef. Sie hatten respektable Berufe wie "Raiffeisen-Revisor", "Restaurateur der Königl. ung. Staatsbahn" oder "Bürstenerzeuger". Heute sind die Gräber mit Betonplatten abgedeckt, denn die Nachkommen der Toten sind während und nach der Ära Ceausescu nach Deutschland zurückgekehrt, von wo vor mehr als 800 Jahren ihre Vorfahren gekommen waren. Von einst 300 000 Deutschen in Siebenbürgen sind 15 000 übrig geblieben. Der Bürgermeister von Hermannstadt ist noch Deutscher.

 
Nicolae Ceausescu, der sich selbst "Führer" nannte, war nicht nur Staatspräsident von Rumänien, sondern auch Jäger. Angeblich hat er 100 000 Wildtiere erlegt: darunter 30 000 Hirsche, 40 000 Rehe, 20 000 Wildschweine und knapp 4000 Bären. Die Bären wurden, zum Jagdplaisier Ceausescus, in rauen Mengen gezüchtet und halb zahm so gefüttert, dass der "Führer" sie aus wenigen Metern Entfernung aus seinem Jagdhaus heraus mit dem Gewehr schlachten konnte.
Heute hat das Land immer noch einige tausend Bären mehr, als die Natur ernähren kann. Die Tiere betteln und bedrohen Bauern auf dem Feld. Was tun? Cristina Lapis, Ehefrau des französischen Konsuls in Kronstadt, Rumänisch Brasov, schafft mit Hilfe der Brigitte - Bardot-Stiftung und des Hamburger Vereins "Vier Pfoten" Refugien für alte und schwache Bären, Etwa im Karpaten-Skizentrum Poiana Brasov, wo neben modernen Sporthotels hinter einem Restaurant drei Bären in Käfigen leben. Von aufopferungsvollen Freiwilligen mit Brot, Fischkonserven, Joghurt, Wurst und Schmelzkäse gefüttert. Weniger glückliche Artgenossen werden von Hunden gehetzt und ausländischen Jägern erschossen.


"Mein Freund! Willkommen in den Karpaten." So hatte in Bram Stokers Roman "Dracula" der Graf an seinen englischen Besucher geschrieben, bevor er ihm an den Hals ging. Der Bestseller von 1897 weckte in Europa und Amerika eine regelrechte Vampir-Kultur aus Büchern und Filmen, nicht zuletzt Roman Polanskis köstliche Parodie "Tanz der Vampire". InTranssylvanienaber, das jahrzehntelang von westlichen Strömungen abgeschnitten war, ist die Legende vom bleichen Blutsäufer im Fledermauslook nicht angekommen. In Rumänien kennt man nur Stokers historische Vorlage: Fürst Vlad Dracul, der im 15. Jahrhundert lebte.
Er war ein außerordentlich blutrünstiger Herrscher. 100 000 Hinrichtungen gehen auf sein Konto, Kleine Diebe wurden zu Tode gefoltert. Bekannt wurde er, weil er 20 000 türkische Invasoren pfählen ließ - es gibt keine sadistischere Weise, Menschen zu töten.
Des Fürsten Geburtshaus in Schäßburg ist dennoch ein Touristenmagnet. Schloss Bran bei Brasov dagegen wird eher mit der Romanfigur in Verbindung gebracht. Es liegt auf einem Gebirgssattel zwischen Transsylvanien und der Walachei und ist mit seiner romantischen Silhouette überhaupt nicht zum Gruseln.
Deutsche Bauern haben die Anlage im Mittelalter als Fluchtburg gegen Mongolen und Türken erbaut. Heute ist Bran ein Museum, es liegt nach der Besucherzahl auf Platz zwei in Rumänien. Da drängeln sich Dracula-Fans und Schulklassen, denen rumänische Geschichte vorgerührt wird. Der Museumsdirektor macht ein gequältes Gesicht, wenn die Rede auf Dracuia kommt: Einerseits zieht der blasse Finsterling Touristen in Scharen an, andererseits ist nicht verbürgt, dass der echte Fürst Vlad Dracul Jemals auf der Burg gelebt hat. Am Fuß der Wehrmauern hat sich ein Markt mit Buden etabliert, natürlich wird auch Dracula-Kitsch verkauft. Pfähle sind es, auch sein Portät in Holz geschnitzt. Ein Gebiss mit langen Eckzähnen oder auch ein schwarzes Cape mit rotem Futter sind nicht dabei.


 

Eine Reise durch Transsytvanien bietet mehr als nur den Anblick hübsch herausgeputzter Junger Mädchen. Es ist eine Reise in die deutsche Vergangenheit. Wer wissen will, wie die Städte bei uns vor dem Bombenkrieg und die Dörfer vor der Erfindung von Traktoren ausgesehen haben, der sollte nach Siebenbürgen fahren. So wie dort muss es einmal in unseren Städtchen gewesen sein, einst, bevor McDonald's, Schlecker und die unvermeidlichen Bankfilialen die Fußgängerzonen prägten. Hier könnte, fast ohne Umbauten, die "Feuerzangenbowle" neu gedreht werden.

Text von Walter Karpf
Fotos: Jörg Müller, Bertrand Gardel/Hèmisphères
Grafik: Hörzu

HÖRZU Ausgabe 14.09.2001                                                                                 


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