Den 23. August 1944 kann man in der über 8OO jährigen Geschichte unseres Sachsenvölkchens als den Tag bezeichnen, an dem für die Deutschen Rumäniens eine radikale Schicksalswende eintrat. Ein über Jahrzehnte andauernder Leidensweg begann, der schließlich zur Auflösung unserer Volksgemeinschaft führte.
Wohl haben die Siebenbürger Sachsen im Laufe der Jahrhunderte manchen Sturm ertragen müssen. Sie bauten unter großer Mühe und harten Opfern ihre Kirchenburgen, um sich vor Türken, Tataren und ändern Völkerschaften, welche immer wieder mordend und brennend durch's Land zogen, zu schützen. Seuchen wie Pest und Cholera dezimierten immer wieder ihre Reihen, aber das Wertvollste für sie, der Grund und Boden als Lebenserhalter, blieb. Diesen bearbeiteten und bebauten sie Jahr für Jahr und das Bibelwort "Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen" wurde hier wahr. Es war ihr Grund und Boden, dem sie in unermüdlichem Fleiß und in schwerer Arbeit immer neue Ernten abrangen. Sie waren mit diesem Boden verwachsen.
Durch das Agrarreform-Gesetz der Regierung Groza vom 23. März 1945 wurden alle Deutschen Rumäniens, welche man pauschal als Angehörige der Deutschen Volksgruppe zu Kollaborateuren Hitlerdeutschlands erklärt hatte, enteignet. Ausgenommen waren einige wenige, die nach dem 23. August 1944 in der rumänischen Armee verblieben waren und weitergekämpft hatten. Durch die Bodenzuteilung sollte die landlose und landarme rumänische Dorfbevölkerung für die kommunistische Politik gewonnen werden. Die Enteignung betraf nicht nur Boden, Vieh und Gerätschaften, sondern erstreckte sich auch auf die sächsischen Höfe.
Vor dem zweiten Weltkrieg waren etwa 70% der Siebenbürger Sachsen in der Landwirtschaft
beschäftigt. Sie waren ein Volk von Bauern. Ihnen wurden durch die Agrarreform etwa
340.000 ha Betriebsflächen mit dem ganzen Inventar enteignet. Obwohl der Anteil der
Deutschen an der Gesamtbevölkerung bloß etwa 2,2% betrug, entfielen 49% des durch die
Agrarreform enteigneten Bodens auf die von Deutschen bewohnten Gebiete.
Die Bodenreform hatte keinen demokratischen Charakter, wie es oft in kommunistischen
Darstellungen hieß, sondern war ein gegen die Deutschen gerichteter
Enteignungsakt.
Jenem schon erwähnten Schicksalstag folgte für uns völlige Rechtlosigkeit. Von der ethnischen Verfolgung mit Deportation und Enteignung unter kommunistischer Willkür hat sich unser Volksstamm nie mehr erholt. So werden diese Zeilen fern vom Ort des Geschehens, fern von unserer siebenbürgischen Heimat, hier in Deutschland, das wir immer als unser Mutterland angesehen haben, für uns, unsere Kinder und Nachkommen geschrieben. Die Reichesdorfer Bauern besaßen, laut den zur Verfügung stehenden Daten, einen Gesamtgrundbesitz von 3457 ha, davon auf der eigenen Gemarkung (Hattert) 2586 ha und außerhalb dieser 871 ha. Diese Flächen gliedern sich in Äcker, Gärten, Heuwiesen, Hutweiden, Weingärten und Waldflächen, sowie 180 ha in bebaute Flächen, Höfe, Wege, Bäche u.a. Dieser gesamte Grundbesitz wurde enteignet. Daraus wurden Parzellen von je 5 Hektar ausgemessen und den neuen Besitzern übergeben. Sie waren ortsansässige Rumänen (die keinen Grund oder weniger als 5 ha besaßen), Zigeuner wie auch aus andern Ortschaften zugezogene Kolonisten. Dabei wurden die besten Äcker und Wiesen bevorzugt. Der Rest: Weingärten, weniger produktive Randäcker, Weiden und unproduktiver Boden blieben im Staatsbesitz (Staatsreserve genannt) und wurde durch die Körperschaft REAZIM-AFSM verwaltet.
Die 17köpfige örtliche Enteignungskommission, bestehend aus 10 Rumänen und 7 Zigeunern (Rus Gheorghe - Vorsitzender, Bunea Mihai, Racoti Savu, Blaga loan, Bucur loan, Popa Miron, Curmu loan, Barbat loan, Vlad Dionisie, Suciu Axente, Marti Gheorghe, Moldovan Augustin,. Buhazi Augustin, Dobra Poldi, Horvat Nicolae, Comiza loan und Costea Avram), trat dann auch in Aktion. Rüde Methoden: Willkür, Drohungen, Schmähungen und Anwendung von Gewalt bestimmten hinfort den Alltag. Wer sollte das auch verhindern? Die Sachsen waren rechtlos und vogelfrei! Neben Grund und Boden wurde das letzte Pferd, die letzte Kuh aus dem Stall getrieben, der Schweinestall geleert. Wagen, Pflug und alles landwirtschaftliche Gerät wechselte schnell und entschädigungslos den Besitzer. Der sächsische Bauer blieb mit einem von wenig Schriftkundigen ausgestellten Papierwisch (Enteignungszettel ) zurück.
Heute, nach mehr als 50 Jahren, ist vieles in der Erinnerung verblaßt, die Konturen der damaligen Ereignisse haben an Schärfe verloren, der Großteil der Betroffenen lebt nicht mehr.
Die Gemeinschaft bestand damals aus vielen sehr schweren und oft hoffnungslosen Einzelschicksalen. Elternlose Kinder, zurückgelassen von den im Krieg stehenden Männern und den nach Russland verschleppten Müttern, zumeist in der Obhut der Großeltern, sahen, wie die letzte Kuh aus dem Stall getrieben wurde, welche die tägliche Milch geliefert hatte. Alleinstehende Frauen, deren Männer gefallen, sich noch im Krieg oder in Kriegsgefangenschaft befanden, wussten nicht, wie sie ihre Kinder in Zukunft ernähren und kleiden sollten. Alte Menschen standen mittellos da. Vertrieben von Haus und Hof oder noch geduldet, eingeengt in einem kleinen Hinterzimmer, welches der neue Herr ihnen "großzügig" überlassen hatte, mussten sie nun leben. Verlustig aller Bürgerrechte, verlustig der Scholle, die Generation um Generation ernährt hatte, sahen viele keinen Ausweg mehr. Und sicher ist nie zuvor die Frage "Wie soll es nun weitergehen?" so oft wie damals gestellt worden.
Es ging weiter. Die ehemaligen Eigentümer wurden nun zu Tagelöhnern, Hälftlern oder Pächtern auf ihrem enteigneten Boden oder bearbeiteten gegen Naturallohn die Rebflächen und den Grund der Staatsreserve. Hart arbeiten konnten sie schon immer. Im Jahre 1949 wurde das Staatsgut (Gospodaria Agricola de Stat) mit den Weingärten und dem Grund der Staatsreserve gegründet. Viele Reichesdorfer: Heimkehrer aus der Deportation und Kriegsgefangenschaft fanden hier einen Arbeitsplatz, welcher ihnen, wenn auch ein sehr bescheidenes Einkommen, so doch eine Existenzbasis sicherte.
Für die "Neueigentümer" kam bald die Ernüchterung. Auf Verfügung der Kommunistischen Partei und der von ihr gestellten Regierung wurden im Frühjahr 1950 die Kollektivwirtschaften ins Leben gerufen. In diese Wirtschaft mussten nun die "neuen Wirte" ihren zu Unrecht erworbenen Besitz: Grund, Vieh, landwirtschaftliche Geräte, einbringen. Nur fünf Jahre hatte für sie das "Tischlein, deck dich!" funktioniert. Ihre Anfangsschwierigkeiten und ihre Unkenntnis, erfolgreich zu wirtschaften, haben in den Folgejahren dazu geführt, dass auch Sachsen aufgenommen wurden, um mit ihrem Können und Fleiß einen Fortschritt zu sichern. Durch Sachkenntnis und Verantwortungsbewusstsein haben viele unserer Landsleute es geschafft, leitende Positionen sowohl auf dem Staatsgut als auch in der Kollektivwirtschaft zu bekleiden. Es ging wieder langsam aufwärts. Aber der Bauernstolz war gebrochen!
In dieser Zeit gab es auch eine berufliche Neuorientierung der Dorfbevölkerung. Vor allem die Jüngeren zogen in die Städte und suchten Ausbildung und Arbeit in der Industrie, zum Nachteil der Landwirtschaft. Ein Großteil dieser Industriearbeiter blieb aber in Reichesdorf ansässig, ein neuer Menschenschlag, der "Pendler", entstand.
Im Jahre 1956 wurden durch ein Staatsdekret den Sachsen die Häuser zurückgegeben, seltener die Gebäude, welche sich im Besitz der Kollektivwirtschaft und des Staatsgutes befanden und von diesen genützt wurden. Fast alle Häuser und Wohnungen wurden von den vor- hergehenden "Besitzern" in schlechtem, in vielen Fällen in unbeschreiblichem Zustand zurückgelassen. Unsere Leute richteten alles wieder auf eigene Kosten her. Unbeugsamer Lebenswille, bäuerlicher Fleiß, Pflichtgefühl, Ausdauer und Zuversicht waren schon immer kennzeichnende Eigenschaften des sächsischen Bauern, die sie auch während dieses "Schwarzen Kapitels" ihrer Geschichte nicht im Stich ließen.
Es wäre ein Fehler, auf Grund erlittenen Unrechts, eine Nation, ein Volk oder eine Menschengruppe pauschal zu verurteilen und als "schlecht" zu bezeichnen. Oft macht erst ein totalitäres politisches System durch seine Demagogen, durch Verhetzung, die Menschen zu Untaten bereit, welche sie unter normalen Umständen wahrscheinlich nicht begangen hätten. Natürlich entschuldigt dieses nicht, was der Einzelne an Schlechtem getan hat. Man sollte aber immerhin versuchen, sich die Sache zu erklären. Marie von Ebner-Eschenbach sagt: "Das Recht des Stärkeren ist das stärkste Unrecht". Leider ist dem auch heute noch in vielen Teilen der Welt so.
Nach einem halben Jahrhundert sollten wir als Menschen und Christen bereit sein, das an uns Sachsen begangene Unrecht zu vergeben. Ob wir es auch vergessen können, dürfte wohl eine andere Frage sein.
Heinrich Bruckner