An einem Morgen, während der Busfahrt zu meiner Arbeitsstelle nach Birthälm, sagte unser über Jahre bewährter Busfahrer Kloos Hein: "Heute abend geht es auch bei uns auf dem Finkenberg los. Wir haben eine große Antenne gebastelt und haben auch alles andere, was es noch braucht, um an der Fußballweltmeisterschaft über den Fernseher teilnehmen zu können. Komm auch hin!"
Am frühen Abend, es war im Sommer und noch recht hell, stieg ich durch unseren Garten hinauf zum Finkenberg. Selbstverständlich war ich nur einer von vielen, die schon dort waren oder noch dazukamen. Ein Stromkabel, wohl über hundert Meter lang, sorgte für die Stromzufuhr aus einem Haus. Gleich unter der Kuppe des Finkenberges war ein breiter Weingartenweg, fast ein kleiner Platz. Da standen schon allerhand Geräte. Auf dem höchsten Punkt der Kuppe wurde die Antenne aufgestellt. Sie war hoch, aber mit vereinten Kräften wurde sie doch aufgerichtet und auch verankert. Fachmänner wie Hans Sch., Hein K., W. Itz, Edgar, Oinz, Fritz und Misch und noch viele andere waren da, quer durch alle Altersgruppen.
Wenn ich mich recht entsinne, sollten wir mit "unserer Antenne" die Spiele via Bulgaria ver- folgen, da dieser Sender die Weltmeisterschaft im Fußball übertrug. Technische Einzelheiten kann ich nicht nennen. Dieses Gebiet ist und war nie meine Stärke. Jedenfalls wurde die Antenne, sowie sie in der Senkrechten war, hin und her gedreht, in Richtung Süden fixiert, denn dort lag ja irgendwo Bulgarien. Inzwischen war es dunkel geworden. Ein mitgebrachter Fernseher wurde eingeschaltet. Einige hatten kleine Radios dabei. Da auf dem Bildschirm nichts anderes als nur ein arges Schneegestöber zu erkennen war, wurde die Antenne noch etwas hin und her gedreht. Der Ton war da. Dieser wurde allerdings abgestellt, da wir kein bulgarisch verstanden. Zum Zug kam per Radio die "Deutsche Welle". Auf dem Schwarzweißbildschirm konnten wir sich bewegende Pünktchen erkennen, die wir als Spieler identifizierten. Welcher Couleur sie aber angehörten, konnten wir nur erahnen. Die Pünktchen huschten noch immer in mehr oder weniger heftigem Schneetreiben über den Bildschirm. Jeder kommentierte und meinte, dies oder jenes gesehen zu haben.
Zur gehobenen Stimmung trugen auch, um ein Diminutiv zu gebrauchen, einige
Fläschchen
Wein bei, welche man vorsorglich mitgebracht hatte. So mancher
"Schlachtenbummler", von
allen Strapazen ermüdet, entschlummerte sanft an der moosigen Lehne des
Berghanges. Bald
gesellte sich zum Kommentar der deutschen Welle auch gedämpftes Schnarchen.
Ich erhob mich, aus der etwas unbequemen Position, in welcher ich saß, um
meine taubgewordenen Gliedmaßen zu reaktivieren und durchschritt in der Dunkelheit ein
gutes Stück des
hochgelegenen Weges. Es wurde still und nun eröffnete sich mir das, was ich
bis dahin aus
dieser Perspektive noch nie gesehen oder erlebt hatte. Ein großer Vollmond
stand an einem
durch kein Wölkchen getrübten, hochgewölbten, nachtblauen Himmel, welcher
über und
über mit Sternen besät war. Ihr Glitzern erschien durch das helle
Mondlicht etwas gedämpfter. Unten, tief im Tal, lag das schlafende Dorf vom silbernen Licht
übergossen. Nur eine einzelne Lampe brannte über dem Zifferblatt der Turmuhr und erhellte dieses.
Die Stunde war
gut ablesbar, es war kurz vor Mitternacht. Die Stille wurde nur ab und zu
von einem kläffenden Hund oder dem Ruf eines Kauzes unterbrochen. Diese Laute schienen
aber die Stille
noch mehr zu unterstreichen.
Wer hat schon in einer Sommernacht von hoch oben auf das schlafende Dorf
gesehen?
Unwillkürlich mußte ich an ein Bild des Malers Kaspar David Friedrich
denken, - was ich
aber selber sah, war unvergleichlich schöner, viel näher und wahrer. Wenn
ich das Talent
eines Lyrikers gehabt hätte, wäre bestimmt ein wunderbares Gedicht
entstanden. So sprach
ich mit Matthias Claudius: Der Mond ist aufgegangen, die goldenen Sternlein
prangen, am
Himmel hell und klar ...
Dieses Bild ist für mich unauslöschlich und somit eine der liebsten
Erinnerungen. Es war die
schönste Fußballweltmeisterschaft, welche ich je erlebt habe.