Fußballweltmeisterschaft in Reichesdorf

Erzählt von Horst Rampelt

 

Du machst es dir im Sessel bequem. Mit der Fembedienung schaltest du heute den Fernseher und den gewünschten Kanal ein, auf welchem, laut Programm, gerade ein sehenswertes Fußballspiel übertragen wird. Klar und in Farbe kommt das Bild zu dir herüber und je nach Spielverlauf freust oder ärgerst du dich, bist gelöst oder nervös angespannt. 

Fußball daheim in der alten Heimat: Welch Ereignis, welches Erlebnis! - "Brot und Spiele" waren schon in der Antike die beiden Zugpferde, auf welche die damaligen Politiker setzten, um das Volk für sich zu gewinnen. Auch im Sozialismus oder Kommunismus, letzterer theoretisch bekannt als das Non-plus-ultra aller Gesellschaftsordnungen, war dieses "Zuckerbrot" nicht unbekannt.

Es gab im Reichesdorf des Jahres 1966 gerade so viele Fernsehgeräte, daß man sie bequem an den Fingern einer Hand aufzählen konnte. Eines der wenigen befand sich im Klubraum des Staatsgutes. Im Programm lief gerade der Kampf um den Fußballweltmeistertitel, Endspiel zwischen Deutschland und England. Besagter Raum ist berstend voll. Die den Spielverlauf verfolgenden Zuschauer waren, wie es beim Fußball meistens der Fall ist, in zwei Lager geteilt. Alle Sachsen standen vorbehaltlos auf der Seite der Deutschen, die Rumänen auf englischer Seite. Dieses, obwohl sie auch für die Engländer nicht besonders viel übrig hatten. Aber da es nun einmal gegen die Deutschen ging, war es für sie so richtig.

Bei uns dann ein großes Gefühl der Enttäuschung, als Deutschland das Spiel nach Verlängerung und hartem Kampf gegen England 2:4 verlor. Wir waren zwar der Überzeugung, diese mag vielleicht auch subjektiver Art gewesen sein, daß die deutsche Mannschaft eigentlich die bessere gewesen war und den Sieg verdient hätte. Das nützte uns nun auch nichts mehr. Die anderen waren besonders froh, da bekanntlich Schadenfreude die schönste Freude sein soll. Wir aber konnten uns nicht recht Luft machen und durften nicht alles sagen, was wir dachten.

Lang ist's her. Die Jahre gingen ins Land. Je weiter das System sich dem Endziel, um nicht den verpönten Ausdruck "Endsieg" zu gebrauchen, näherte, um so weniger wurde das Brot und auch die Spiele. Es gab zwar, wer von uns kennt sie nicht, die riesigen Sportveranstaltungen von meist choreographischem Charakter, welche aber nur zur Ehre des "Einzigen" dienten, um diesen mit unzähligen Superlativen zu überhäufen. Euro- und Weltfußball gab es im Femsehen nicht mehr. Wie ein Wasserlauf im Wüstensand versickert, so versickerte der Weltfußball auf unseren Bildschirmen.

In diesem vielgelobten System war es nicht unbedingt wichtig, eine gute, solide berufliche Ausbildung zu haben (politische war schon eher gefragt), als vielmehr die Kunst des Improvisierens zu beherrschen. Wer über diese im Sozialismus nicht verfügt, ist kaum über- lebensfähig. Auf allen denkbaren und auch undenkbaren Gebieten, in jeder Lebenslage, auf allen Ebenen, von der Metropole bis in das kleinste Nest war Improvisation gefragt und gleichbedeutend mit dem Überleben. Improvisation - weshalb nicht auch im Fernsehfußball?

Trotz immer größeren Erfolgen in der Politik, Wirtschaft und Kultur wurden die Spiele der Weltmeisterschaft 1986 nicht übertragen. Trotz der technischen Fortschritte (so wurde immer wieder verkündet) gab es keine Übertragung der Spiele. Valuta? Was nützte es uns, daß im neunten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts inzwischen schon fast jeder von uns einen Fernseher besaß, wenn kein Fußball übertragen wurde? Landesweit war in diesem Zusammenhang Abhilfe gefragt. Auch in Mediasch wurden keine Mühen und Kosten gescheut. Mit der Genehmigung von Parteisekretären und Werksdirektoren und auch anderen maßgebenden Persönlichkeiten der Nomenklatura wurde eine große Antenne nebst Zelt auf der "Baaßner Hill" aufgestellt und Fußball empfangen.

Heinrich Bruckner


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