Der Gemeindesaal

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Wenn in ruhigen Zeiten der Fleiß Wohlstand zeugt, denkt man an die Geselligkeit. So war es auch in Reichesdorf. Eine große, schöne Schule hatte man gebaut, ein Gemeindehaus stand schon auf dem Marktplatz neben der Kirche, da mußte auch für die Geselligkeit etwas getan werden. So wurde 1910 der große Gemeindesaal mit seinen Nebenräumlichkeiten gebaut. Dazu schreibt Daniel Bruckner in seiner Familienchronik. Zitat:

1910 wird ein großes Gesellschaftshaus auf dem Marktplatze gebaut, ein großer Saal von 240 Quadratmeter, 2 Zimmer für Cassa des Raiffeisenvereins, 2 Zimmer für die Kinderverwahranstalt und eine Kredenz. (= Bühne).

Den 10. April 1910 wird der Bau des großen Gesellschaftshauses auf dem Platz, lizitiert und es ersteht der Baumeister Heinrich Chrestel aus Birthälm, unsers Herrn Pfarrers (Josef Fröhlich) Schwiegersohn, mit 20.750 Kronen. Am l. Mai soll mit dem Bau begonnen werden.

1910. Auf dem Platz wird das große Gesellschaftshaus erbaut (großer Saal, Cassa Lokal, darauf eine Gallerie, Küche und Kredenz, darauf eine Burghüterwohnung, die Kinderbewahranstalt) kostet gesamt 23.908 Kronen, die Steine waren nicht eingerechnet, die Ringmauer hat sie geliefert.

Für die Einweihung, die stattfinden soll, hat Prof. Römer aus Kronstadt ein Weihelied und Pfarrer Plattner ein Volksstück in drei Akten, „Die Treue von Reichesdorf", geschrieben. Gruß der Schwesterschaft an das neue Gesellschaftshaus in Reichesdorf 1911 (siehe Chronik des Daniel Bruckner).

Ein wirklich prächtiger Bau, ausgerüstet mit allem, was für eine große Festlichkeit oder eine Hochzeit von 200-300 Personen notwendig war.


  
 Blick auf dem Marktplatz, rechts von dem Kirchturm das Gemeindehaus und der Gemeindesaal

Für die Zubereitung der Speisen gab es eine große Küche mit breiten Herden und tiefen Backrohren - würdig jedem modernen Gaststättenbetrieb - und eine Backstube. Geschirr war genügend da, dafür hatte der Frauenverein gesorgt, der alles leihweise an die Familie vergab, die eine Hochzeit auszurichten hatte. Auch an die Blasmusik war gedacht. In einer Ecke des Saales befand sich eine kleine Empore für die Kapelle. Der Festsaal hatte auch eine große Bühne und darunter die Umkleideräume. Wenn aber Hochzeit angesagt war, standen auf der Bühne die Weinfässer, damit die Gäste nicht zu lange auf den guten Tropfen warten mußten.

Getrennt vom Hochzeitsbetrieb waren die Räume des Kindergartens und des Raiffeisenvereines. Über diese Nebenräumlichkeiten wurde die Wohnung des Burghüters gebaut. Etwas später brachte eine neugelegte Leitung das Wasser aus dem höhergelegenen Garten des Hauses von Nr. 19 in die Küche und den Abwaschraum und danach wurde das große Haus 1956 auch der Erdgasleitung angeschlossen.


  
                                       Saal mit gedeckten Tafeln

Bevor eine Tanzunterhaltung (Ball) stattfand, gingen die konfirmierten Mädchen daran, den Fußboden (gehobelte Tannenbretter) zu scheuern, das gab einen ganz besonderen Geruch, und die Burschen hobelten Stearin und Parafin, das dann zusammen mit Federweiß während des Tanzes auf den Boden gestreut wurde. Dann entstand durch das Zerreiben mit den Schuhsohlen eine spiegelglatte Fläche, die wir Kinder in den Tanzpausen als Rutschbahn benützten.
Manch schöne Unterhaltung wurde da zur Winterszeit (zur Sommerszeit hätte man keinen Reichesdorfer in den Saal locken können) abgehalten: Theateraufführungen, Schauturnen und Bälle. Besonders beeindruckend war es, wenn gegen Mittemacht eine Pause eingelegt wurde: Tische und Stühle waren schnell aufgestellt, die Körbe mit dem Essen wurden hervorgeholt, wobei die Flaschen mit dem guten Wein sicher nicht vergessen wurden. Man saß gewöhnlich in Großfamilien oder mit guten Freunden am Tisch zusammen. Bei bester Stimmung sang man auch manches schöne Lied.

Zu richtigen Sängerwettstreiten kam es auf Hochzeiten: Die älteren Männer traten gegen die jüngeren oder gegen die Burschen an. Die Sitzordnung forderte gerade dazu heraus. Die Männer saßen entlang des Saales an der Straßenseite, dem Alter nach, die ältesten an der Bühne. So kamen gewöhnlich gewesene Schulkameraden zusammen und jede Gruppe glaubte, den besseren Chor abzugeben.
Wie haben wir Kinder uns da amüsiert, wenn nach gutem Essen und Trinken Stimmung aufkam. Was hatten die Alten da alles auf Lager, was sie dann zum besten gaben, wenn die Sorgen des Alltags für eine Weile vergessen waren! Sie verstanden zu feiern! Da müßte man die Mitglieder der Zigeunerkapelle (gewöhnlich der „Jurkuz" aus Pretai) erzählen lassen, was sie da alles gesehen haben. Aber die Kapelle gibt es nicht mehr, und Hochzeiten, wie die damals im alten Reichesdorf, werden auch nicht mehr gefeiert. Die Reichesdorfer sind in aller Welt verstreut, und die alten Bräuche sind schon fast in Vergessenheit geraten.

Nur 30-35 Jahre war der Saal für die Reichesdorfer das, wofür sie ihn gebaut hatten. Dann kam der Krieg mit seiner Trauer und danach folgten wieder andere harte Schicksalsschläge: die Rußlanddeportation, die Enteignung des Grundbesitzes und die Zwangsbesetzung der Häuser. Wer hatte da noch Lust zu feiern? Oft wußte man in dieser Zeit der Entmündigung nicht, was der nächste Tag bringt und wie das Weiterleben aussehen soll.

Wenn die Saalwände sprechen könnten, dann würden sie auch etwas von dem Leid und der Verzweiflung unserer Lieben erzählen, die vor ihrer Deportation nach Rußland dort zusammengetrieben wurden. Es ist vieles anders gekommen, als es sich unsere Vorfahren gedacht hatten.

Und dann kam das Ende. Nach der Enteignung gehörte alles „Uns". Der Begriff Eigentum war zum Fremdwort geworden, das man nicht gerne hörte und nur im Zusammenhang mit „Ausbeuter" benützte. Und wenn es niemandem gehört und „unser" ist, konnte man doch alles mitgehen lassen: Die Kücheneinrichtung und das Geschirr machte sich die Staatswirtschaft zu eigen, und wofür man nicht geschuftet hat, das versteht man nicht zu achten! „Wie gewonnen, so zerronnen", hieß es nach kurzer Zeit.

In diesem Zusammenhang zitieren wir ein paar Zeilen aus dem Brief von Herrn Rektor Karl Ziegler, der am 29. Januar 1947 an seinen Sohn Walter schreibt:

Der große schöne Saal wird von der Gemeinde verwaltet. Der Richter hat den Schlüssel. Aus dem Saal fehlten fast sämtliche Stühle. Die Ventilatoren hat man gestohlen, die Fenster sind zum Teil zerbrochen, die Schalter herausgerissen usw.

Ein Bild sozialistischer Eigentumsverwaltung.

Es hat lange Zeit gedauert, bis die Sachsen den Saal wieder benützen durften. Hochzeiten von dem Ausmaß wie früher konnte sich aber niemand mehr leisten. Und wenn die Jugendlichen später gerne eine Tanzunterhaltung gemacht hätten, unterließen sie dies lieber, denn man war nicht mehr unter sich, unter Sachsen, wie früher. Immer waren auch Zigeuner und einige Rumänen dabei, die aber kamen eher, um Unfrieden und Mißlaune zu stiften, als um zu tanzen. Erst nachdem den Sachsen von neuem Bürgerrechte zugesprochen wurden, gab es wieder Theaterabende und Tanz für die Sachsen. Die Störenfriede wagten es nicht mehr, gar so dreist einzugreifen.

Heute haben sie alles: Schule, Gemeindehaus und Saal. Ob sie aber Lust zu feiern haben? Wer auf Scherben sitzt, hat es nicht bequem.

Andreas Nemenz  (+01.10.2005)
 

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