Was der zweite Weltkrieg und die Rußlandverschleppung an Bürgern in Reichesdorf übriggelassen hatten, stand nun fest: Die Lücken klafften. Was an Hab und Gut geblieben war, reichte zum Leben nicht und war zum Sterben zu viel. Woran man sich noch gewöhnen mußte, war, mit der Angst zu leben. Verstört, recht- und ratlos saßen die Reichesdorfer auf den Trümmern ihrer altgewohnten Ordnung, mit der alles zu Bruch gegangen war, was die Gemeinschaft gefördert und erhalten hatte. Von ihren Höfen gejagt, aus ihren Wohnungen verdrängt, mühten sie sich als Tagelöhner um ihr Stückchen Brot.
In dies
Herr Lassner war in Holzmengen Lehrer und danach Rektor in ihrer beider Heimatdorf
Kleinschelken gewesen, bis man ihn dort für politisch unzuverlässig erklärt hatte und nach
Bonnesdorf, hin, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen und der Teufel seinen Hut
verloren hat, straf versetzte.
In Reichesdorf kaum angekommen, mußten sie erkennen, daß ihnen mit diesem Wechsel nur
ein Schritt aus dem Regen in die Traufe gelungen war. Sie wurden nicht mit der
vierspännigen Kutsche abgeholt, wie es vordem beim Empfang eines Lehrers üblich gewesen war. Man
wußte im Dorf gar nicht, daß sie kommen.
Es war irgendein später Septemberabend des Jahres 1953, an dem sie eintrudelten. Vom
"Sfat" (Volksrat) wurden ihnen zwei völlig verdreckte Zimmer im Haus Nr. 129 zugewiesen.
Die Eigentümerfamilie Bruckner war schon lange davor vom Hof gejagt worden und
wartete dringend auf den Tag, an dem sie wieder nach Hause kommen sollten, der aber rückte
immer weiter weg von ihren Hoffnungen.
Als sich die Lassners mit der Wohnungszuteilung auf Nr. 129 meldeten, empfing sie eine
freundliche Zigeunerin, Lele Mare. Sie steckte den übermüdeten Werner bereitwillig ihrem
schlafenden Sohn unter die Decke. Daß der gerade Scharlach hatte, kam erst einige Tage später heraus, als der noch nicht zweijährige Werner schwer erkrankte und mit seiner Mutter
nach Mediasch ins Krankenhaus interniert werden mußte.
Derweil hatte Herr Lassner Gelegenheit, die Hilfsbereitschaft der Reichesdorferinnen
kennen und schätzen zu lernen. Auch Lele Mare bot ihre Hilfe an, dafür stahlen ihre Kinder den
Wein aus dem Keller und was sie sonst noch erwischen konnten.
In dem überbelegten Haus hielten die Zigeuner Kammer, Küche und Schlafzimmer besetzt.
Im Stübchen hauste Parteisekretär Birtolon, der auch als Spitzel auf Herrn Lassner angesetzt
war. Im vorderen Zimmer übernachteten die Ingenieure der Staatsfarm, wenn sie zu den
Sitzungen kamen und in der Mitte des Hauses bekamen die Lassners ihre Bleibe. Sie
bezogen "det Häus", teilten den Raum mit einem Vorhang ab, hinter dem sie ungestört zu
schlafen versuchten, wenn Birtolon und die Ingenieure ein und aus gingen.
Ein anderes Problem war das Brennholz, das sich aber durch die einflußreichen
Mitbewohner schließlich doch beschaffen ließ. Dafür bekamen die dann von Lassners "weiche Eier geschält".
Frau Lassner war ausgebildete Krankenschwester und hatte als Verschleppte fünf Jahre
Rußland hinter sich, wo sie dem Tod buchstäblich von der Schippe gesprungen war. Sie war
hart im Nehmen, hatte gelernt, allen Widrigkeiten entschlossen zu begegnen und sie zu
meistern.
Es gelang ihr rasch, die Leute in Reichesdorf von ihrem Können und ihrer
Es ist nicht leicht, einen Gesunden zu trösten, und wer es versteht, einen Kranken wieder aufzurichten, dem ist etwas Besonderes gelungen.
Hatte die Schwerkranke den letzten Seufzer getan, war Frau Lassners Arbeit noch nicht
abgeschlossen, sie blieb und half und vergaß auch nicht, ein Blumensträußchen in die kalten
Hände zu legen. Sie ließ sich nichts nachsagen, behandelte und pflegte Freund wie Feind mit
dem gleichen Diensteifer, was ihr bald auch bei den Rumänen und Zigeunern Anerkennung
und Achtung eintrug.
Indessen mühte sich Herr Lassner in der Schule um seine Schüler und gab sein Bestes auch
bei der Jugendarbeit mit Chor, Theater, der Akkordeongruppe und den Adjuvanten, obwohl
er zunächst als Deutscher mit "gebundenen Händen" dastand. Es war für ihn nicht einfach
sich immer erst die bösen Geister, die Reichesdorf in ihren scharfen Krallen festhielten günstig zu stimmen, bevor er vorsichtig einen Schritt in die Richtung unserer Interessen
wagen
durfte.
Bald war aber der Tag gekommen, an dem sich das Ehepaar in die Hand arbeiten
konnte:
Frau Lassner hatte Frau und Kind des Kommunisten wieder gesund gemacht und der wurde
zugänglich, wenn Herr Lassner zu ihm mit einer Bitte kam. "Eine Hand wäscht die andere
..." Und gerade dies wurde zum wertvollen Vorteil unserer Sachsen im Dorf. Es ging um das
Überleben als ethnische Gruppe: genehmigte Schulklasse, Theater- und Tanzveranstaltung
Adjuvanten, Ausflugsfahrt ... oder nicht genehmigte! Alles war vom guten Willen und der
Laune unserer nun "Dorfersten" abhängig.
Unter allem anderen beschlagnahmten die Herren der Stunde auch die Blasinstrumente
unserer Adjuvanten, um sie an die Zigeuner zu verteilen. Daß dies das Ende der goldenen Hörner
bedeutet hätte, wußte jeder. Dies zu unterbinden kostete "Laci", wie Herr Lassner liebevoll
von den Reichesdorfern auch genannt wurde, viel Überredungskunst, und es gelang ihm die
Instrumente zu retten: Er erteilte den Zigeunern in der Schule Instrumentalunterricht und den
Sachsen blieb, was ihnen gehörte.
Es ist gefährlich, in solchen Zeiten zu leben, dabei die Kastanien auch für andere aus
dem Feuer zu holen, ist gewagt und verlangt viel Geschick, wenn es gut gehen
soll.
Es blieb ihnen nichts geschenkt: Planten die Lassners ein deutsches Theater mit unserer
Jugend, musste gleich auch ein rumänisches eingeübt werden; wollten sie einen Chor
aufstellen, mussten auch Rumänen und Zigeuner als Mitglieder aufgenommen werden.
Die Situation wurde sehr heikel, denn die Lassners stießen damit bei unseren Sachsen auf
Unverständnis. Es gab aber keine andere Wahl. Deutsch zu singen, das war nur unter diesen
Bedingungen noch möglich. Wäre man darauf nicht eingegangen, wäre das sächsiche Lied
in Reichesdorf schon einige Jahrzehnte früher verstummt.
Die gleichen Bedingungen galten auch für die Bälle. Was sich an einem solch gemischten"
Ball zutrug, wissen wir auch noch. Da musste den Dreistigkeiten, mit denen sie uns
herauszufordern verstanden, die Spitzen so geschickt genommen werden, dass es nicht der letzte
Ball für die sächsische Jugend war.
Unter normalen Gegebenheiten ist es nicht immer leicht, mit den Leuten, die das
Sagen haben, gut auszukommen, und nur eine geschickte Hand kann in heikeln Zeiten
die Dreisten zähmen.
Es bleibt verwunderlich, wie es damals doch immer wieder gelang, die Geselligkeit zu
pflegen, deutsche Lieder, Tänze und Theaterstücke auf die Bühne zu bringen. Wer erinnert sich
nicht an den gelungenen Meyndt-Abend, mit dem den Lassners der Durchbruch in
Reichesdorf endgültig gelang? Wer hat die netten Stunden für Darbieter und Publikum bei
den vielen übrigen Stücken vergessen? Wer erinnert sich nicht an:
"Der eingebildete Kranke"
Von all den gelungenen Bühnenstücken, dem Kronenfest, der Trachtenschau, der Tanz- und
Akkordeongruppe aus und in Reichesdorf berichtete die deutschsprachige Presse immer
wieder voll Lob.
Dass
das Kronenfest wieder erlaubt wurde, war auch das Verdienst derer, die sich wie
geschickte Seiltänzer auf dem gefährlichen Grat zwischen uns Sachsen und denen bewegten,
die uns ersticken wollten.
In guten Zeiten fröhlich zu sein, ist leicht, aber in schlechten dafür zu sorgen,
dass auch
andere fröhlich sind, das ist ein besonderes Verdienst.
Nachdem der pensionierte Rektor Ziegler als Organist ausfiel, spielte Herr
Lassner, dem als
Lehrer der Gottesdienstbesuch nicht gestattet war, versteckt am Sonntag auch die Orgel.
Spitzel gab es überall, und bespitzelt wurden auch die, die Feste und Unterhaltungen
organisierten. Es wäre sicher leichter gewesen, in dieser Richtung nichts mehr zu tun - darauf
wartete man schon lange - aber die Reichesdorfer gaben nicht auf, zumal sie bei Frau und
Herrn Lassner immer volle Unterstützung fanden.
Das Wirken von Frau Lassner beschränkte sich nicht nur auf ihren Beruf und das Zupacken
bei der Kulturarbeit. Sie war auch für alles, was Brauchtum ist, aufgeschlossen. Wenn es
darum ging, an Hochzeiten oder Nachbarschaftsfesten mit Späßen beizutragen, konnte man
immer mit ihren Programmpunkten rechnen. Dafür verreimte sie witzige Inhalte, die dann
zur Belustigung aller gelesen, gesungen oder als Sketsche gespielt wurden.
Sie nahm es sechs Jahre lang auf sich, sich als Vize-Bürgermeister von Reichesdorf,
Birthälm und Kopisch für die Interessen unserer Sachsen einzusetzen, zum Beispiel bei der
Rückgabe der enteigneten Höfe. Während dieser Zeit wurden in Reichesdorf auch die
Gehsteige befestigt und geteert, wodurch das Aussehen des ganzen Dorfes viel gewann.
Im Juli 1986 konnte das Ehepaar Lassner zu ihrem Sohn Werner in die Bundesrepublik
ausreisen. Damit endeten 35 Jahre harter, aber segensreicher Tätigkeit in Reichesdorf wo Frau
Lassner hauptberuflich als leitende Krankenschwester und Herr Lassner als Lehrer und
Rektor beschäftigt waren.
Es war das Schicksal der Familie Lassner, uns, die Reichesdorfer, nur in den schwärzesten
aller Zeiten zu kennen; und es war unser Glück, sie gerade damals unter uns zu haben.
"Ich will heute Ballkönigin sein"
"Der Kreuzeckbauer"
" Säungdich am Aren "
" Ich bin der Herr im Haus "
" Dornröschen "
und parallel dazu
"Pisoiul incaltat" (Der gestiefelte Kater)
" Vecina mea " (Meine Nachbarin)
" Un bob de mazare cu bucluc" ... (Die Panne einer Erbse)