Die alte Petroleumlampe

Heimatliche Kindheitserinnerungen

 

Sicherlich werden sich noch einige unter uns an die Petroleumlampe erinnern damals vor vielen Jahren, als es noch kein Licht auf Schalterdruck gab. Zu jener Zeit gab es, nach des Tages Arbeit, die „Dämmerstunde", jener besinnliche Zeitraum zwischen dem Enden des Tages und dem Feierabend, zwischen Dämmerlicht und Finsterwerden, jene unbeschreiblich schöne halbe Stunde trauten Beisammenseins.
Minuten unausgesprochenen Glücks, die so manches Geheimnis lüfteten, manches Versprechen gaben, manches Verzeihen erreichten und manche schwierige Aufgabe wie von selbst lösten.. Und die alles - weil es sich im Dunkeln so viel leichter reden ließ von Mensch zu Mensch (sei's ein unbedachtes Wort, welches tagsüber vielleicht ausgesprochen worden war) - wenn der Tagesausklang zum Niedersetzen und unbeschwerten Verweilen rief.
Wie freuten wir uns als Kinder auf diese Augenblicke, ganz besonders in der Herbstzeit, wenn die Tage kürzer wurden und der Abend so unendlich erschien. Im Ofenrohr brutzelten die Äpfel, und wir machten die Mutter so lange auf den köstlichen Duft, welcher durchs ganze" Haus zog, aufmerksam, bis sie die herrlich gebräunten Früchte an uns verteilte.
Und was oft den ganzen Tag nicht möglich war, nämlich die Mutter für uns zu haben, das brachte die zauberhafte Dämmerstunde fertig. Dann saß sie, die Hände im Schoß gefaltet, und erzählte aus vergangenen Zeiten. Oder, wenn gar Großmutter zu dieser Stunde die Treppe heraufkam ... Sie stammte ja aus einer noch früheren Zeit. Was hat es da erst für unheimliche Dinge gegeben! All' das mußte man unbedingt von einer Großmutter erfahren haben. Denken wir aber einmal an die armen Kinder von heute: Niemand nimmt sich die Zeit, seine Hände gefaltet auf die Knie zu legen, für eine kurze Pause zwischen den Tageszeiten. Alles hastet und eilt.
Wenn es heutzutage zu dunkeln beginnt, ein Druck auf den Lichtschalter, und weiter geht es ohne Aufenthalt, ohne Pause, ohne jegliche Besinnlichkeit. Damals führten uns noch keine Radiowellen oder Fernsehbilder in die weite Welt. Wir sangen im Zwielicht manch' ein vielstimmiges Lied oder hielten uns fest an den Händen, wenn eine Erzählung gar zu gruselig war. Hexen und Hausgeister, Zeichen und Irrlichter steigerten, uns in eine Vorstellung hinein, die uns unvergeßlich geblieben ist.
Da ... auf einmal erscheint die Mutter mit der traulichen Petroleumlampe, stellt sie auf den Tisch und sagt: „Gut'n Abend!" - „Gut'n Abend" echoten wir alle im Chor, und damit hatte die Zeit zwischen Tag und Nacht ihr Ende.
Es war jetzt dunkel in der Stube. Nun fiel der Schein der Petroleumlampe warm über den Tisch. Kein noch so moderner Lichtspender kann den Zauber verdrängen, der von einem Petroleumlicht ausgeht. Hell und auch durchsichtig war der hübsche Milchglasschirm. Dabei sollte man bedenken, was diese Lampe für eine Gefahr - nach heutigem Begriff - darstellte! - Aber wie selten geschah wirklich damit ein Unglück. Wir Kinder sahen in ihr die Lichtspenderin und rührten sie niemals an. Noch höre ich die Stimme meiner Mutter: „Kinder, paßt auf die Lampe auf!" - Diese Worte waren für uns Gesetz.


Eines Tages jedoch gab es auch bei uns eine Veränderung. Drähte, Rohre und Schalter wurden im Haus verlegt, und dann war es so weit: Auf einen einfachen Fingerdruck flammte das Licht auf. Begeistert schlugen wir Kinder die Hände zusammen. Wir machten Licht, wieder finster, und dann abermals Licht. Die Stube erstrahlte hell, ganz ohne Mühe; es gab kein Zylinderputzen, kein Petroleum- nachfüllen und man benötigte auch kein Zündholz. Es war für uns ganz einfach wunderbar und fast unbegreiflich.
Der guten alten und schönen Petroleumlampe gönnten wir zunächst nur einen wegwerfenden Blick. Sie stand da wie entthront, man wußte nichts Rechtes mehr mit ihr anzufangen. Doch ganz anders dachte unsere Mutter. Sie nahm das einstmalige Hochzeitsgeschenk und gab ihm einen neuen, ganz bestimmten Standplatz. Dort stand die Lampe bis zuletzt... bis zum Jahr 1946, denn auch dieses gute Stück konnten wir bei der Vertreibung aus der Heimat nicht mitnehmen.
Die liebe, alte Petroleumlampe! Sie beschien mein erstes Märchenbuch und meine Schiefertafel mit dem ABC. Ihr anheimelnder leicht rötlicher Schein leuchtet durch alle meine Kindheitserinnerungen, und immer, wenn es Herbst wird, höre ich Mutters „Gut'n Abend!" in jener glücklichen Zeit!

Ida Raue

 

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