Die Rußlanddeportation

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Der geleistete Blutzoll und die schweren Strapazen, die vielen unserer Landsleute wärend des 2. Weltkrieges auferlegt worden waren, sollten nicht genügen. Gegen Kriegsende kam noch mehr Leid über unser Sachsenvölkchen. 

Durch den Frontenwechsel Rumäniens im August 1944 waren aus den deutschen     Verbündeten Feinde geworden und die deutsche Bevölkerung aus Siebenbürgen und dem Banat zählte gleich auch dazu. Die Russen, Rumäniens neue Verbündete, waren mißtrauisch. Rumänien sollte beweisen, daß es mit den Todfeinden, den Deutschen, gebrochen hatte und gegen diese vorging. Da hat man keinen Unterschied gemacht, ob es die Deutsche    Wehrmacht war, gegen die man noch kämpfte oder alles andere, was deutsch war. Sie behan- delten uns wie Feinde. Inwieweit die damalige Regierung unter General Sanatescu bereit war, gegen Sachsen und Schwaben vorzugehen, ist nicht nachweisbar. Aber ein gewisser harter Kern, Mitglieder der kommunistischen Partei Rumäniens, so auch Justizminister Patrascanu, waren gewiß bereit, alles zu tun, um alle Deutschen zu internieren (seine Meinung in der Sitzung des Ministerrates vom 15. September 1944). Bereits am 27. August 1944 war eine Weisung des Innenministeriums ergangen, in der es hieß, die gesamte deutsche Bevölkerung zu registrieren. War diese nur eine Überwachungsmaßnahme oder schon eine Vorstufe zur Deportation? Aber die Zeit arbeitete gegen unsere Landsleute. Die Russen (Stalin), entschlossen, die Deutschen zur Zwangsarbeit nach Rußland zu deportieren, haben sich nicht um die Meinung der Allierten gekümmert, die untätig zusahen.

Den Großteil der deutschen Bevölkerung traf es Anfang Januar 1945 wie ein Hammerschlag. Man war überrascht. Was wußte man schon in Reichesdorf, was gegen uns Sachsen vorbereitet wurde? Möglich, daß einige einen Hinweis erhalten hatten und ahnten, was auf    uns zukam. Was konnte man aber tun? Radios gab es keine mehr, die waren alle requiriert worden, um jede Verbindung zur Außenwelt zu unterbrechen. Wir bekamen täglich zu spü-   ren, daß wir von Rumänen und Zigeunern gehaßt wurden und daß diese mit Schaden-freude zusahen. Sie handelten dementsprechend. Ob nach Verordnung oder aus eigener Initiative, es wurden alle Sachsen wahllos zusammengetrieben. Vorschriften über Altersgrup-pen (Frauen zwischen 18 und 35, Männer zwischen 17 und 45 Jahren) galten hier nicht. Wer sollte auch eine Kontrolle ausüben? Willkür war angesagt, jeder, der glaubte, sich an einem Sachsen rächen zu müssen, konnte es jetzt tun. Wer konnte ihn daran hindern? Mütter wurden von   ihren kleinen Kindern weggerissen, alte Pflegebedürftige blieben hilflos zurück. In den    Köpfen   der Rumänen und Zigeuner ging nur eines vor: Alle Sachsen weg, Hand auf das Vermögen und gut leben, - als wenn das "Haben" ohne Arbeit, ohne Mühe und Fleiß zu hal- ten sei. 

Am 14. Januar 1945, es war ein Sonntag, war es dann so weit: Alle wußten, daß wir abge- führt werden, aber wohin und für wie lange, das wußte keiner. Schon hatte man in Eile das Notwendigste eingepackt, vor Aufregung wohl das Wichtigste vergessen. Was war wichtig? Man wußte doch nicht, was auf einen zukam. Und dann ging es, wie es in der ersten Strophe des Liedes heißt: "Es war im Januar fünfundvierzig, am zweiten Sonntag in der Früh, da führten Russen und Zigeuner unsere Lieben fort wie Vieh". Das Gepäck auf Pferdewagen geladen, die Verdammten zu Fuß: Von Sowjetsoldaten und mit Knüppeln bewaffneten Zigeunern getrieben, ging es nach Mediasch.
Hier lassen wir lieber die Betroffenen sprechen, Reichesdorfer Landsleute, die ihre Erlebnisse niedergeschrieben haben. Unmenschliche Bedingungen auf der langen Reise, die zwei Wochen und länger dauerte, dort schlechteste Unterbringung, harte Arbeit, unzurei- chende Verpflegung haben die Kräfte schnell schwinden lassen. Unterernährung und Krankheit waren die Folge. Zu viele haben dies nicht überlebt und Reichesdorf und ihre Lieben nicht mehr gesehen. Arbeitsuntaugliche wurden entlassen, einige kehrten nach einem Jahr zurück, die meisten erst 1949. Viele wurden bei ihrer Entlassung aus den russischen Arbeitslagern nach Deutschland (Ostzone) befördert und fanden nicht mehr nach Reichesdorf zurück. Zerrissene Familien war die Folge. Männer und Frauen, Väter und Mütter und deren Kinder mußten lange Zeit getrennt leben. Erst 1952 lief die Familienzusammenführung langsam an. 

Aus den uns zur Verfügung stehenden Unterlagen entnehmen wir: 

  • Es wurden 121 Reichesdorfer deportiert, darunter 85 Frauen und Mädchen und 36 Männer und Burschen. 

  • In Rußland und anschließend zu Hause starben an den Folgen unmenschlicher Behandlung 14 Personen: 3 Frauen und 11 Männer. 

  • In die Sowjetische Besatzungszone wurden 25 Personen entlassen. 

Wir wollen an dieser Stelle der 14 Reichesdorfer gedenken, die während der Rußlanddeportation ihr Leben lassen mußten und ihnen denselben Gedenkspruch widmen, der über den Namen der Gefallenen des l. und 2. Weltkrieges steht:

 Seele, vergiß nicht, Seele, vergiß nicht die Toten !

  • Kloos P.   

  • Kloos P.(jun.)   

  • Hügel M.  

  • Kloos F.   

  • Fröhlich J.   

  • Alzner G. (sen.)  

  • Meyndt G.   

  • Greger F.   

  • Wachsmann K.   

  • Herberth M.   

  • Nemenz R.   

  • Schaas F. 

  • Herberth S.   

  • Roth A. 

Auch für die in Reichesdorf verbliebenen Leute folgte eine schwere Zeit. Die Enteignung des Grundbesitzes, der landwirtschaftlichen Maschinen, des Viehes und nicht zuletzt die Entrechtung haben viele stolze Bauern gebeugt. Dazu kam noch die Vertreibung vom eigenen Hof und die Sorge um die verschleppten Angehörigen. Die Heimkehrenden fanden nach fünf Jahren eine ganz veränderte Welt vor. Ihr Reichesdorf von früher gab es nicht mehr. Aber sie packten erneut zu und mußten nicht mehr hungern. Alle waren bemüht, sich der neuen Lage anzupassen und bewiesen bald, daß sie mehr zu leisten fähig waren, als die durch die Agrarreform geschaffenen "Neubauern" es vermochten. 

Einigen Reichesdorfern gelang es, sich der Deportation zu entziehen, sei es unter dem Schutz von rumänischen Bekannten, sei es durch rechtzeitiges Untertauchen nach einem Hinweis von Kennern der Lage. Diese Landsleute sind den Strapazen der Deportation entgangen, aber auch das Leben im Untergrund war nicht leicht. Bis gegen Ende des Jahres 1945 kamen ständig nächtliche Kontrollen: Russen und Zigeuner, die sich ihre Opfer holen wollten. Angst, gefaßt und bestraft zu werden, bedrückte die Menschen in dieser Zeit. Und mindestens so schwer war es, nach dem Auftauchen, den Neid und die Mißgunst der Nachbarn zu ertragen, die ihre Angehörigen in Rußland hatten und wußten, unter welchen schweren Bedingungen die dort lebten. Es hat aber sicher auch viel Mut dazu gehört, sich der Willkür zu entziehen.

Andreas Nemenz
 

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