Wann die erste Schule errichtet wurde, wo sie stand, wer der erste Lehrer war, läßt sich heute nicht mehr sagen. Es ist aber anzunehmen, daß es schon Anfang des 16. Jahrhunderts in Reichesdorf eine Schule gegeben hat. Wir wissen, daß in einem Burgfried (Wehrturm) der an der Südmauer stand, Raum vorhanden war, in dem zu Friedenszeit Unterricht abgehalten wurde. Die Wehranlage wurde etwa um 1500 fertiggestellt. Auch ist aus geschichtlichen Aufzeichnungen bekannt, daß in der Zeitspanne von 1549-1590 24 Reichesdorfer die Oberstufe der Honterusschule in Kronstadt besucht haben. Daraus läßt sich schließen, daß sie vorher eine Grundausbildung in Reichesdorf genossen, also eine Schule da war. Der erste geschichtlich belegte Schulleiter in Reichesdorf war zwischen 1560 und 1562 der Hermannstädter Georg Melas, der vom damaligen Reichesdorfer Pfarrer Mathias Glatz berufen wurde. Über eine lange Zeit liegen uns dann keine Aufzeichnungen in bezug auf die Schule vor.
Der Chronik des Reichesdorfers Daniel Bruckner entnehmen wir, daß 1850 eine neue Schule gebaut wurde. Es ist das jetzige Gemeindehaus, den Reichesdorfern als „Kanzlei" bekannt. Dieses Gebäude wurde bis 1890 als Schule genutzt und im Jahre 1910 für 12.000 Gulden an die politische Gemeinde verkauft, die fortan dort ihre Amtsräume hatte. Dieser Chronik ent- nehmen wir weiter, daß ab 1852 auch das Gebäude am Marktplatz neben der gemauerten Brücke (HNr.8, später Lehrerinnenwohnung) Unterrichtszwecken gedient hat. Hier war die Mädchenschule.
Im Jahre 1890, nachdem die Einwohnerzahl (Sachsen) auf etwa 1000 und die Schülerzahl auf etwa 160 gestiegen war, wurde die heutige große Schule auf dem Marktplatz gebaut.
Die Reichesdorfer Schule
Es ist ein stattliches, einstöckiges Gebäude mit 4 großen hellen Klassenräumen, einem Sprechzimmer, einer Bibliothek und einer Lehrerwohnung. Und fortschrittlich war man damals schon eingestellt: Die Schule erhielt auch einen großen Turnsaal. Das Baumaterial für diese Schule wurde zum großen Teil durch Abriß der alten, baufälligen und für Wehrzwecke nicht mehr geeigneten Wehranlage (Nordmauer) gesichert. Dem Bauvorhaben waren 15.000 Gulden bewilligt worden, die von den Reichesdorfern als Umlage auf den Steuergulden in 3 Jahren gezahlt wurden. Der Baumeister war Johann Weinrich aus Birthälm. Dieses Gebäude entsprach den damaligen und den heutigen Anforderungen eines modernen Unterrichts. Die Aufnahme der Kinder erfolgte nur alle zwei Jahre. So konnten die Schüler in jedem Klassenraum zwei Jahre lang unterrichtet werden, ehe sich der Wechsel durch die Einschulung von zwei neuen Jahrgängen vollzog. Auf diese Weise wurde der 7- Klassen-Unterricht der Volksschule gewährleistet und es blieb auch Raum, um in den Wintermonaten die Fortbildungsschule und die Kurse des Landwirtschaftsvereins unterzubringen.
Der finanzielle Aufwand, den unsere Großväter und Väter auf sich genommen haben, war bestimmt kein leichter, aber er hat sich gelohnt, denn es wurde somit möglich, daß alle Kinder (Mädel und Jungen) die Volksschule besuchen konnten. Für viele war damit die Grundlage einer Weiterbildung gesichert. Es ist nicht möglich, die Gesamtzahl der Schüler anzugeben, die diese Schule besucht haben (es fehlen uns die Unterlagen). Auch die Zahl derer, die ein Gymnasium, ein Seminar usw. absolviert haben, können wir nicht nennen. Dafür kennen wir aber die Zahl derer, die nach der Volksschule die Mediascher Ackerbau- und Haushaltungsschule besucht haben, und dieses ist wohl bedeutungsvoll, denn sie sind nach der Weiterbildung in Reichesdorf geblieben und haben hier ihre erworbenen Kenntnisse angewandt und weitergegeben und dem Wohl der Gemeinde unmittelbar gedient.
Aus der Zahl der Reichesdorfer, die eine Weiterbildung erfolgreich abgeschlossen haben, heben wir die prominentesten hervor und beschreiben ihr Leben, ihr Wirken im Kapitel "Reichesdorfer, auf die wir stolz sein können".
Daß man in Reichesdorf nicht schon immer auf Bildung gesetzt hat, davon zeugen die Aufzeichnungen von Daniel Bruckner, der in seiner Familienchronik schreibt, daß die Mädel erst nach 1852 lesen, schreiben und rechnen lernten. Wir zitieren aus seinen Aufzeichnungen:
Dazumal lernten die Mädchen nicht schreiben. Aber wie der Herr Pfarrer Josef Fabini von Waldhütten nach Reichesdorf erwählt wurde, da lernten auch die Mädchen schreiben und rechnen. Die Mädchenschule war das Haus auf dem Marktplätze, bei der gemauerten Brücke, wo jetzt eine Lehrerin wohnt.
Auch was die Bildung der Jungen anbelangt, darf man nicht behaupten, daß alle die Schule regelmäßig besucht haben. Wie hätte denn der sensible Mensch und Kenner des Lebens in Reichesdorf, der Notar und Liedermacher Georg Meyndt (1852-1903) die Verse zu dem Lied ,Der Feldschätz" schmieden können, wenn sie nicht aus dem Leben in Reichesdorf genommen wären. Daß in der Bauemwirtschaft jede Arbeitskraft gebraucht wurde, ist bekannt, und beim armen Mann waren es wohl auch die Hände der Kinder, die er nicht entbehren konnte.
Die Schule unterstand der Kirchengemeinde und deren Presbyterium, so auch die Lehrer, die vom Presbyterium gewählt wurden. Leider können wir keine vollständige Liste der Reichesdorfer Lehrer erstellen, da die uns zur Verfügung stehenden Angaben zu spärlich sind. Für die Zeitspanne 1863-1929 finden wir aber solche Angaben im „Statistisches Jahrbuch der ev. Landeskirche A.B. im Großfürstentum Siebenbürgen", die wir im folgenden wiedergeben. Diese Aufzeichnungen bringen eine Übersicht über die Einwohnerzahl (Sachsen) in Reichesdorf, wie auch über die Zahl der Schüler. Aus dieser Statistik ist nicht ersichtlich, ob die Kantoren und Prediger, Absolventen des Lehrerseminars, auch an der Schule tätig waren, wie es zu unserer Zeit der Fall gewesen ist (Prediger-Lehrer). Die große Schülerzahl läßt aber die Vermutung zu, daß auch diese am Unterricht beteiligt waren.
Jahr 1863
- Seelenzahl: 966 (weiblich 474, männlich 492)
- Schülerzahl: 165 (weiblich 83, männlich 82)
- Knabenlehrer: Martin Kurtz
- Mädchenlehrer: Michael Offner
- Prediger: Andreas Weinrich
- Cantor: Bartholomäus Nemenz
Jahr 1865
- Seelenzahl: 974 (weiblich 479, männlich 495)
- Schülerzahl: 169 (weiblich 86, männlich 86)
- Rektor: Martin Kurtz
- Conrektor: Bartholomäus Nemenz
- l. Mädchenlehrer: Michael Offner
- 2. Mädchenlehrer und Cantor: Michael Schneider
- Prediger: Andreas Weinrich
Jahr 1870
-Seelenzahl: 987 (weiblich 503, männlich 484)
- Schülerzahl: 158 (weiblich 78, männlich 80)
- Rektor: Martin Kurtz
- Conrektor: Bartholomäus Nemenz
- l. Mädchenlehrer: Michael Offner sen.
- 2. Mädchenlehrer: Michael Offner jun.
- Prediger: Andreas Drotleff
Jahr 1875
-Seelenzahl: 990 (weiblich 508, männlich 482)
- Schülerzahl: 147 (weiblich 69, männlich 78)
- Rektor: Andreas Mild
- Conrektor: Bartholomäus Nemenz
- l. Mädchenlehrer: Michael Offner sen.
- 2. Mädchenlehrer: Michael Offner jun.
- Prediger: Andreas Drotleff
In den obigen Angaben werden die Mädchenlehrer immer getrennt von denen der Knaben genannt, was darauf schließen läßt, daß die Mädchen bis zum Bau der neuen Schule (1890), wohl aus Platzmangel, in der „Kanzlei" oder im Haus Nr. 8 (wie es Daniel Bruckner in seiner Chronik angibt) unterrichtet wurden. In den folgenden Aufzeichnungen fehlt die Bezeichnung „Mädchenlehrer". Darum ist anzunehmen, daß in der neuen Schule Mädchen und Jungen zusammen unterrichtet wurden, so wie in unseren Tagen. Es gab auch keine anderen Klassenräume mehr, denn 1910 ging die „Kanzlei" in den Besitz der politischen Gemeinde über, und das Haus Nr. 8 (so auch Daniel Bruckner) wurde Lehrerwohnung.
Vor der Jahrhundertwende werden als Lehrer noch Johann Morgonday 1896/97 und Carl Reich 1899/1900 genannt. Und weiter aus dem oben- genannten statistischen Jahrbuch:
Jahr 1901
- Seelenzahl: 1059 (weiblich 489, männlich 570)
- Schülerzahl: 182 (weiblich 78, männlich 104)
- Rektor: Karl Lukas
- 2. Lehrer: Johann Heltmann
- 3. Lehrer: Michael Offner
- Prediger: Andreas Drotleff
Im Jahr 1901 wird erstmals auch die Leiterin der Kinderbewahranstalt (Kindergärtnerin) genannt, es ist Rosina Graeger, geb. Geltch und ihre Gehilfinnen Johanne Meyndt und Sofia Wodicska, was uns den Beweis erbringt, daß es 1901 schon einen Kindergarten gegeben hat.
Jahr 1906
- Seelenzahl: 1061 (weiblich 501, männlich 560)
- Schülerzahl: 147 (weiblich 63, männlich 84)
- Rektor: Simon Bruckner
- 2. Lehrer: Friedrich Heltmann
- 3. Lehrer: Erledigt
- Prediger: Andreas Drotleff
- Leiterin der Bewahranstalt: Luise Maurer
Jahr 1911
-Seelenzahl: 936 (weiblich 465, männlich 471)
- Schülerzahl: 136 (weiblich 69, männlich 67)
- Rektor: Johann Arz (vom 12. Dez. 1908 in Reichesdorf)
- Ordinierter Lehrer (Prediger-Lehrer): Simon Bruckner
- Lehrerin: Barbara Daner
- Leiterin der Bewahranstalt: Martha Depner mit ihrer Gehilfin Sofia Wodicska
Jahr 1922
- Seelenzahl: 956 (weiblich 454, männlich 502)
- Schülerzahl: 155 (weiblich 76, männlich 79)
- Rektor: Johann Arz
- 2. Lehrer: Simon Mantsch
- 3. Lehrer (und Prediger): Simon Bruckner
Jahr 1929
- Rektor: Karl Ziegler
- 2. Lehrer: Simon Mantsch
- 3. Lehrer: Simon Bruckner
Hier fehlen die Angaben über Seelen- und Schülerzahl, wie auch die über die Kindergärtnerin und ihre Gehilfinnen.
Aus der obengenannten Statistik läßt sich auch die Zahl der schulpflichtigen Kinder ableiten, die der Schule fern blieben. Wir geben sie hier wieder: 1901 und 1906 waren es jeweils 9 Kinder, 1911 waren es 6 Kinder und 1922 war es nur ein Kind.
Reichesdorfer Schulkinder und Lehrer (Aufnahme um das Jahr 1922)
Über die Lehrer in den Folgejahren können wir nur auf eigene Erinnerungen und Angaben
unserer Landsleute zurückgreifen.
1. Simon Mantsch war vom l. Dezember 1918 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand
1953 Lehrer in Reichesdorf und nach Simon Bruckner auch Prediger.
2. Karl Ziegler war vom 15. September 1929 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1954
Rektor der Reichesdorfer Schule, Organist und auch Musiklehrer der Adjuvanten.
3. Karl Klosius
4. Hans Kandert
5. Wilhelm Ehrmann
6. Walter Schneider
7. Grete Maurer
8. Martin Bloos
9. Alfred Schmidt
10. Gerda Schulleri
11. Georg Lassner
12. Gernot Wagner
13. Erhard Schuller
14. Luise Schlattner
15. Erna Wachsmann
Fast 60 Jahre lang hat diese Schule den Reichesdorfern gedient, ihnen zu Wissen und
Können verholfen. Nach 1944 traten schwere Zeiten ein, die darauf zielten, die Existenz der
Sachsen und alles was „deutsch" war auszulöschen. Davon war auch unsere Schule betroffen.
Zuerst mußten Räume für Rumänen und Zigeuner abgetreten werden, die sich fortan als
die rechtmäßigen Besitzer betrachteten. Das Gebäude der Staatsschule, das sie bisher genützt
hatten, wurde verlassen und dem Verfall preisgegeben. Nicht die Notwendigkeit hat zum
Übergriff auf unsere Schule geführt, sondern der Drang nach Geltung. Man wollte den jetzt
gänzlich entrechteten Sachsen zeigen, wer der Herr im Dorf ist und dazu brauchte man die
Dorfmitte. Diese Ereignisse wurden schon mit allen Einzelheiten beschrieben
und wir gehen hier nicht näher darauf ein.
Zu erwähnen wäre noch, daß der Unterricht der sächsischen Kinder auch nach 1944 weiter
in der Obhut der Kirche blieb, dann aber durch die Schulreform aus dem Jahre 1948 an den
Staat überging. Es gab auch fortan in Reichesdorf eine Volksschule mit deutscher
Unterrichtssprache (gemeinsam mit den Rumänen und Zigeunern im selben Gebäude), aber
nach 1955 nur noch für die Klassen I-IV. Die Oberstufe mußte in Birthälm oder
sonst
wo
besucht werden.
Es ist kein schönes Bild, das wir heute vor uns haben: Das Gebäude steht vernachlässigt und
ungepflegt da. Wo der Staat Eigentümer ist, legt kaum jemand Hand an. Wie lange es noch
dauern wird, bis unsere schöne Schule zur Ruine herabgewirtschaftet ist, ist abzusehen.