WER SIND DIE SIEBENBUERGER SACHSEN ?

                                        Ein geschichtlicher Abriss von Prof. Andreas Kloos

 

Viele kennen die Sage von der alten Weserstadt Hameln, die einst von den Ratten so geplagt war, dass sich die Bürger keinen Rat mehr wussten, bis eines Tages ein fremder Spielmann kam und durch sein Flötenspiel die Ratten aus den Häusern lockte und in die Weser führte, wo sie ertranken. Als aber der Spielmann seinen Lohn forderte, wurde er von den geizigen Bürgern mit Hohn und Spott aus der Stadt gejagt. Nach einigen Tagen jedoch kam er zurück und ging, auf seiner Flöte blasend, durch die Straßen der Stadt. Da kamen aus allen Häusern die Jungen und Mädchen heraus, gezogen vom Wunderklang seiner Flöte, und folgten ihm hinaus vor die Tore. Dort öffnete sich vor dem Spielmann der Berg, in dem er mit seiner Kinderschar verschwand. Weit, weit von Deutschland entfernt, im Südosten von Ungarn liegt ein hohes Gebirge, die Karpaten, und umschlossen von ihnen ein Bergland, Siebenbürgen. Dort führte der Rattenfänger von Hameln seine Kinderschar heraus, und dort hat er sich mit ihnen angesiedelt; und diese hamelschen Kinder sind die Ur- Ur-Ahnen des deutschen Volksstammes der Siebenbürger Sachsen. 

So erklärte sich einst die Sage jenes Wunder, daß fern vom Mutterland, mitten zwischen Rumänen, Ungarn und Zigeunern, ein echter deutscher Volksstamm wohnt, und niemand wusste, wie er dorthin gekommen war. Inzwischen hat die Geschichts- und Sprachwissenschaft dieses Wunder aber restlos geklärt.

Siebenbürgen war im Mittelalter Grenzmark des ungarischen Königreiches gegen die aus Asien einfallenden Reitervölker. Die durch Verhauzonen geschützte, immer weiter nach Osten und Süden vorgeschobene Grenze wurde militärisch durch Hilfsvölker, die als Grenzwächter angesiedelt wurden, verteidigt; deren wichtigstes waren die Szekler, sie siedelten längs des Innenrandes der Ostkarpaten. In die übrigen, von Menschen beinahe entblößten Gebiete - "diserta", wie sie die Chroniken zumeist nennen - berief der ungarische König Geysa II. in den Jahren 1141-1162 deutsche Siedler als "liberi et hospites", also als Freie und Gäste "ad retinendam coronam" - zum Schütze der Krone - ins Land. Er versprach sich von ihnen allerdings nicht nur die Verteidigung gegen Einfälle aus Ost und Südost, sondern vor allem bessere Methoden des Ackerbaues, eine Förderung von Gewerbe und Handel und wesentlich höhere Steuern. Als Gegenleistung wurden ihnen königliche Sonderrechte zugebilligt, vor allem das Recht auf Grund und Boden und freie Selbstverwaltung, Rechte und Freiheiten also, die sie in ihrer alten Heimat bei der feudalen Abhängigkeit nicht hatten.

Die ersten Siedler kamen aus den linksrheinischen Gebieten: vom Niederrhein, von der Mosel, aus Luxemburg und der Westeifel; nach 1200 auch aus Städten und Dörfern östlich des Rheins, aus Niedersachsen, Bayern, einige aus Thüringen. Es waren in der Hauptsache Bauern und Handwerker und auch Kaufleute aus den Städten. Die Urkunden vom Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts benennen sie "Flandrenses", "Theutonici" und "Saxones", in Siebenbürgen verschmolzen sie zu einem deutschen Neustamm, für den sich im Laufe der Zeit die Bezeichnung "Saxones" - Sachsen - durchsetzte. 

Die Ansiedlung in Siebenbürgen vollzog sich in mehreren Etappen. Zu Anfang ließen sich die Siedler in der Gegend von Hermannstadt nieder, im sogenannten Altland. Gemeinschaftlich nahmen sie von dem ihnen zugewiesenen Boden Besitz, gemeinschaftlich nutzten sie die Wälder, die Gewässer und die Weiden, verlosten den Boden, wie es auch ihre Vorväter in der alten Heimat einst getan hatten, und hielten, wie diese, an der Dreifelderwirtschaft fest. Niemand - das war unter ihnen strenges Gesetz - durfte sich durch einen größeren Besitz über die Gemeinschaft erheben. Blieb einer bei seinem Tode ohne Erben, fiel sein Anteil wieder der Gruppe zu; verließ jemand das Dorf, verhielt es sich nicht anders. Neue Einwanderer kamen, und mit ihnen wurde die Besiedlung nach Westen und nach Osten ausgedehnt. Als einige Jahrzehnte verstrichen waren, erstreckte sich entlang der damaligen Grenzlinie des ungarischen Reiches ein Streifen von annähernd zweihundert wohlgeordneten sächsischen Siedlungen im Süden Siebenbürgens hin. Weil diese auf dem "Fundus regius" - auf dem Königsboden - errichtet waren, standen ihre Bewohner unter dem direkten Schutz des Königs. Ihnen wurde gestattet, sämtliche inneren Angelegenheiten mit Hilfe der von der Gemeinschaft gewählten Ältesten, der Hannen, der Dorfvorsteher und der Grafen zu regeln; letztere waren vom König eingesetzte Richter. Der ungarische König Andreas II., der Enkel König Geysas, rief dann 1211 den Deutschen Ritterorden nach Siebenbürgen und verlieh ihm den südöstlichen Teil des Landes - das Burzenland - zur Erschließung und zur Verteidigung der Krone gegen die Kumanen. Mittelpunkt dieses Gebietes wurde die Stadt Corona - Kronstadt. Als aber die Deutschritter von der hier erbauten Marienburg aus, einen separaten Ordensstaat aufzurichten versuchten, verjagte sie der König 1225, die in 13 Dörfern angesiedelten Bauern aber behielt er zurück. 

Durch Ausdehnung dieser zwei Kernsiedlungsgebiete entstanden dann nördlich des Altlandes das sogenannte "Unterwaldgebiet" um Mühlbach und nordwestlich des Burzenlandes das "Weinland" mit den Hauptorten Mediasch und Schäßburg. Auch im nord- östlichen Teil Siebenbürgens, im sogenannten "Nösnerland" um Bistritz, entstand ein größe- res deutsches Siedlungsgebiet. Alle diese Siedlungsgemeinschaften ergaben schließlich das Volk der "sächsischen Nation", und die Privilegien, die ursprünglich nur den auf Königsboden angesiedelten Einwanderern zugesprochen worden waren, wurden auf alle Sachsen ausgedehnt.
Die durch König Geysa II. zugesicherten Privilegien wurden aber vom ungarischen Adel immer wieder angefochten, daher wurden die Sachsen bei dessen Enkel Andreas II. vorstel- lig, und dieser sicherte ihnen im Jahre 1224 die einst versprochenen Vorrechte im "Goldenen Freibrief" schriftlich zu; diese Urkunde ist einer der ältesten republikanischen Verfassungstexte Europas, sie verfügte, daß alle deutschen Siedler künftig ein Volk seien, und bestätigte ihnen die Territorialautonomie auf dem überantworteten Königsboden, die freie Wahl der Pfarrer, eigenständige Gerichtsbarkeit und Selbstverwaltung sowie Zollfreiheit ihrer Kaufleute und freie Märkte in ihrer eigenen Mitte. Als Gegenleistung12 sicherten die sächsischen Siedler dem König einen jährlichen Zins zu, damals 500 Mark Silber, und Heeresfolge im eigenen Land, wenn es die Umstände forderten.

Die Satzungen des "Freibriefes" schufen im Rahmen der Reichsmonarchie eine von Adelsherrschaft und Leibeigenschaft freie, nur dem König unterstellte republikanisch-demo- kratische Enklave und bildeten für 700 Jahre die Lebensgrundlage der Siebenbürger Sachsen. Von ihnen leiteten sie immer wieder ihre Volksgruppenrechte ab.

Trotz des verheerenden Mongolensturms von 1241 erstarkte das junge Gemeinwesen; im 14. Jahrhundert gab es rund 300 deutsche Ortschaften, darunter sechs gewichtige Städte, ein gut ausgebautes und in Zünften organisiertes Handwerk (1376 hatte Hermannstadt 19 Zünfte mit 25 Gewerben) und ertragreiche Handelsbeziehungen zu Westeuropa und Vorderasien. Auch ein eigenständiges Schulwesen begann sich zu entwickeln, und das sakrale Bauwesen nahm im ganzen Siedlungsgebiet mit zum Teil domartig ausladenden Gotteshäusern einen großen Aufschwung.

Nachdem die Türken 1393 bis zur Donau vorgestoßen waren, war in den folgenden Jahrhunderten auch Siebenbürgen ihrem Ansturm ausgesetzt; allein von 1420 bis 1493 ver- zeichnen die Chroniken 15 große Einfälle, die kleineren Raubüberfälle sind selten erwähnt, obwohl gerade diese für die Bevölkerung verheerende Folgen hatten. Die einst errichteten Fliehburgen außerhalb der Ortschaften erwiesen sich bei unvermuteten Überfällen als nutz- los, da im Notfall innerhalb kürzester Zeit schützende Mauern erreicht werden mußten. Deshalb wurden ab 1396 nicht nur die Stadtbefestigungen ausgebaut, sondern auch die Dorfkirchen mit Ringmauern und Schutztürmen umgeben und oft die Kirche selbst als letzter Zufluchtsort zur Burg umgebaut. Diese Kirchenburgen sind, selbst nachdem sie ihrer ursprünglichen Funktion enthoben waren, nur selten abgerissen worden und prägen auch heute noch das architektonische Erscheinungsbild der siebenbürgischen Ortschaften.

Im 15. Jahrhundert, das von der Türkengefahr überschattet war, erreichte die politische Einheit und Selbstverwaltung der Siebenbürger Sachsen einen gewissen Höhepunkt: 1486 bestätigte König Mathias Corvinus den Andreanischen Freibrief und erkannte die "Universitas Saxonum" - die Sächsische Nationsuniversität - als oberste autonome Rechts- und Verwaltungseinheit sowie den "Comes Saxonum" - den Sachsengraf - als deren höchsten Würdenträger an. Zu den Aufgaben der Nationsuniversität zählten im Innern neben gesetzgeberischen auch gerichtliche Funktionen, ferner die Verwaltung des Vermögens der gesamten sächsischen Gemeinschaft und die Verteilung der Steuern; nach außen vertrat sie die sächsische Nation auf dem Landtag, eine Art Volksvertretung, wo die Ungarn, die Szekler und die Sachsen vertreten waren.

Die Türkenschlacht bei Mohäcs 1526 und der Tod des ungarischen Königs Ludwig II. führte zum Zerfall des ungarischen Reiches. Der westliche und nördliche Teil kam an das Haus Habsburg, in der Mitte des Landes - die Hauptstadt Ofen miteingeschlossen - setzten sich für mehr als 150 Jahre die Türken fest. In Siebenbürgen entstand ein eigenständiges Fürstentum  unter türkischer Oberhoheit. Es war ein Wahlfürstentum ohne feste Erbfolge, darum ein Spielball in den Händen der ungarischen Großadligen und oft in sich uneins. Jahrzehntelange Parteikämpfe, in die sich sowohl die Türken als auch die Habsburger einmischten, verwüs- teten das Land. Ob Türken oder Kaiserliche, Freund oder Feind, die Aufschläge und Erpressungen nahmen kein Ende; Dörfer und Städte wurden ausgeplündert und niederge- brannt, Männer, Frauen und Kinder wurden zu Tausenden als Sklaven oder Geiseln in die Türkei verschleppt, und was Feuer und Schwert übrigließen, rafften Hungersnöte und die Pest dahin. Viele sächsische Ortschaften verloren ihre Bewohner für immer, im ganzen Siedlungsgebiet ging die Bevölkerung auf weniger als die Hälfte zurück.

In dieser Zeit politischer Wirren und wirtschaftlichen Notstandes fiel ein Ereignis von nach- haltiger historischer Bedeutung: 1542/43 leitete in Kronstadt der Humanist Johannes Honterus die Reformation ein, 1547 erschien die von ihm entworfene "Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen", die in allen sächsischen Gemeinden akzeptiert wurde. Mit der Annahme des Augsburger Glaubensbekenntnisses 1572 hatte die neue Konfession sich bei den Siebenbürger Sachsen dann durchgesetzt, die territoriale, politisch-rechtliche und kirch- lich-ethnische Einheit hatten ihren Sieg erleichtert.

Die Reformation wirkte anregend auf das geistige Leben, vor allem das bereits vorhandene Schulwesen wurde umorganisiert und ausgebaut, in allen Städten wurden noch vor 1600 Gymnasien eingerichtet. Der Unterricht war im wesentlichen unentgeltlich, schon Honterus hatte in seiner Kirchenordnung verfügt: "..dass Schulmeister und Leerer gehalten und diesel- bigen mit besoldung der Gemeinden also versorget werden, dass kein knab seines armuts wegen von der schul ausgeschlossen sondern on gelt daselbst mögen lernen". Die Schule gewann auch an Breitenwirkung. Eine im Jahre 1660 durchgeführte Zählung gibt neben 238 Pfarrern auch 224 Schulrektoren an, woraus ersichtlich ist, daß fast alle Dörfer ihre eigene Schule hatten. Schon 1722 wurde dann auf Beschluß der Kirchensynode und der Nationsuniversität die Einführung des allgemeinen Volksschulunterrichts angeordnet. In der damals erlassenen Verfügung "Zur Auferziehung der lieben Jugend und zur besseren Einrichtung der Schulen" steht der bedeutsame Satz: "Alle Kinder, beyderley Geschlechts, in Städten und Dörfern mit obrigheitlichem Befehl zur Schule zu halten, daß sie lesen und schreibn und den Catechismus lernen, wobey die Schulbüchlein impensis Nationis gedruck und umb einen geringen Preis, ja den Waisen und armer Leute Kindern umbsonst gegeben würden." Also allgemeine Schulpflicht für Jungen und Mädchen und Schulbücher auf Kosten der Allgemeinheit für Waisen und Arme - damit gehörten die Siebenbürger Sachsen zu den Vorreitern in Europa bei der Einführung des allgemeinen Volksschulunterrichts. Im Jahre 1763 wurden bei der Synode Zahlen über das deutsche Schulwesen in Siebenbürgen vorgelegt. Es gab damals für die etwa 130.000 Sachsen - also die Einwohnerzahl einer heutigen deutschen mittelgroßen Stadt - 5 Gymnasien, 16 höhere Volksschulen, wo auch Latein gelehrt wurde, und 236 gewöhnliche Volksschulen - kein von Deutschen bewohnter Ort blieb also ohne eigene Schule. Zum Vergleich: um 1770 besuchte in Niederösterreich bloß ein Fünftel der Kinder die Schule und in Schlesien von 58.000 Kindern gar nur 2359.

Im großen Türkenkrieg von 1683-1699, in dem die Osmanen auf den Balkan zurückgedrängt wurden, fiel Ungarn an Österreich, das siebenbürgische Fürstentum wurde habsburgisches Kronland, der Kaiser Leopold I. bestätigte die Rechte und Freiheiten der Sachsen, doch der ungarische Adel verweigerte ihre Anerkennung, und das sächsische Freitum mußte sich auch fortan mühsam behaupten.

Nach den Türkenkriegen und den innerstaatlichen Auseinandersetzungen war das Land auf Reformen angewiesen. Der Siebenbürger Samuel von Bruckenthal, ab 1753 persönlicher Berater der Kaiserin Maria Theresia und von 1763-1787 Gubernator von Siebenbürgen, sorgte für den Ausbau der Selbstverwaltung sowie des sächsischen Kultur- und Bildungswesens und verteidigte mit Erfolg die sächsischen Rechtspositionen. Aber auch er konnte nicht ver- hindern, dass der Reformkaiser Josef II. nach dem Tode seiner Mutter die historischen Privilegien der Sachsen - Territorialautonomie auf dem Königsboden und Selbstverwaltung - erstmals für aufgehoben erklärte. Zwar widerrief er auf dem Sterbebett seine Reformen, aber der endgültige Verlust der sächsischen Rechte war damit eingeleitet.

Mit der Französischen Revolution zog über Europa das Zeitalter des Nationalismus herauf und verschonte auch Siebenbürgen nicht. Die Ereignisse von 1848/49 führten hier zu einem der blutigsten Bürgerkriege des Kontinents. Die ungarische Revolution, die die Abtrennung Siebenbürgens erstrebte, richtete sich nicht nur gegen Habsburg, sondern auch gegen die kaisertreuen Sachsen. Deren Vorkämpfer Stephan Ludwig Roth, Pestalozzi-Mitarbeiter, Erzieher, Theologe und Publizist, wurde im Mai 1849 von nationalistischen ungarischen Revolutionären erschossen.

Nach dem verlorenen Krieg gegen die Preußen 1867 mußte Österreich in den sogenannten "Ausgleich" einwilligen und die östliche Reichshälfte mit Siebenbürgen an Ungarn abtreten, es entstand die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Schon neun Jahre später -1876- verfügte die Budapester Regierung im Zuge ihrer Madjarisierungspolitik die endgültige Auflösung des Königsbodens und der Nationsuniversität sowie das "Erlöschen" der sächsischen Nation. Die Sachsen verloren dadurch den größten Teil ihres Kollektivvermögens und sanken auf den Status einer nationalen Minderheit ab. In dieser Notlage nahm die Evangelische Landeskirche, die unangetastet geblieben war, die sächsischen Kultur- und Bildungseinrichtungen unter ihren rettenden Schutz und entzog sie dem Zugriff des ungarischen Staates.

Nachdem die Siebenbürger Sachsen keine eigene Nation mit staatstragendem Charakter mehr darstellten, verblieb ihnen nur noch ihre Zugehörigkeit zur deutschen Kultumation. Zu ihr hatten sie sich schon immer gezählt, und die Verbindung zum Mutterland war auch nie abgerissen; ihre Lehrer und Pfarrer hatten durch Jahrhunderte in Deutschland studiert und deutsches Wesen und deutsche Kultur zu Hause vertreten und gelehrt. In der neuen politi- schen Situation aber brachte diese Bewußtseinshaltung Komplikationen und langfristige Konsequenzen mit sich, da es sich im Grunde genommen um eine Ablösung von der tradi- tionellen "sächsischen" zu einer "deutschen" Identität handelte. Einerseits bemühten sich die Siebenbürger Sachsen loyale Staatsbürger zu sein, andererseits aber orientierten sie sich immer mehr an deutschem Zeitgeist und deutschen Verhältnissen, wobei die Entfernung unreflektierte Übernahmen und Idealisierungen begünstigte. Ziel aller Bestrebungen blieb aber auch weiterhin die absolute Wahrung der nationalen Identität und völkischen Integrität.
Nach dem Zusammenbruch der Mittelmächte 1918 kam Siebenbürgen unter rumänische Herrschaft. Damit trat anstelle der Budapester Madjarisierungstendenzen der Rumänisie- rungsdruck der Bukarester Regierung. In den sogenannten Karlsburger Beschlüssen hatten die Rumänen den Sachsen eine Kultur- und Schulautonomie zugesagt, diese wurde aber weder eingehalten noch in das rumänische Grundgesetz aufgenommen.
In den deutschen Städten wurden die sächsischen Beamten aus den Behörden und Bürgermeistereien verdrängt und durch Rumänen ersetzt; in der Industrie und dem sächsi- schen Gewerbe musste ein Mindestanteil von Rumänen beschäftigt werden, wodurch Sachsen in die Arbeitslosigkeit gerieten; durch eine Bodenreform wurde nicht nur die wirtschaftliche Basis der sächsischen bäuerlichen Kleinbetriebe - Großgrundbesitz war äußerst selten - geschmälert, sondern auch der Gemeinschaftsbesitz, der bis zu diesem Zeitpunkt nur zu kulturellen Zwecken genutzt werden durfte, enteignet und damit die finanzielle Absicherung des Schulwesens auf das schwerste erschüttert, da der Staat von den auch von den Sachsen gezahlten Steuergeldern keinen Ausgleich leistete. Daher mussten die Schul- und Kirchensteuern ständig erhöht werden, sie betrugen meist zwischen 80-85 Prozent der direkten Staatssteuern.
All das und noch vieles mehr führte dazu, dass bei den Deutschen in Rumänien die gefühls- mäßige Hinwendung zum Mutterland immer mehr zum bestimmenden Faktor wurde. Zusätzlich trug nach 1933 die nationalsozialistische Auslandsarbeit des Deutschen Reiches Konflikte in die eigene Gemeinschaft. Einen entscheidenden Einschnitt bedeutete dann 1940 die auf politischen Druck aus Berlin hin geschaffene "Deutsche Volksgruppe in Rumänien" als öffentlich-rechtliche Einrichtung durch ein rumänisches Gesetz, zielte sie doch auf die völlige Abkehr von der traditionellen Verfassung, die Auflösung der überkommenden Institutionen und die nationalsozialistische Durchorganisation der Siebenbürger Sachsen - gegen den Willen der evangelischen Kirche und breiter Kreise des Bauern- und Bürgertums.
Im Jahre 1941 trat Rumänien an der Seite Deutschlands in den Krieg gegen Russland ein. Im Jahre 1943 verfügte ein zwischenstaatliches Abkommen die Einbeziehung Rumäniendeut- scher in die deutschen Wehrmachtsverbände und die Waffen, womit die Siebenbürger Sachsen mit allen Konsequenzen voll in das Kriegsgeschehen einbezogen wurden.

Der Frontwechsel Rumäniens im August 1944 stürzte die deutsche Volksgruppe - also auch die Sachsen - in die tödliche Katastrophe; sie wurde nun für das Desaster verantwortlich gemacht, das der Krieg über Rumänien gebracht hatte. Alle Deutschen wurden zu Kollaborateuren Hitler-Deutschlands erklärt, die staatsbürgerlichen Rechte wurden ihnen für Jahre hinaus entzogen, alle nicht eingezogenen Männer im Alter von 17-45 Jahren und die 18 bis 35-jährigen Frauen, insgesamt etwa 30.000 Sachsen, wurden im Januar 1945 in Haft genommen und in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit deportiert. Etwa ein Drittel von ihnen ist dort den Strapazen, dem Hunger und den Seuchen erlegen. Es folgte die strafweise Totalenteignung, d.h. Rumänisierung des landwirtschaftlichen, gewerblichen, industriellen, kulturellen und schulischen Vermögens.

Das von seinen Höfen und Äckern verjagte, zum großen Teil in Tagelöhnerbeschäftigungen hinabgedrängte und zunehmend in die Peripherie der Industriestädte abwandernde sächsi- sche Bauerntum geriet in den Mahlstrom der Entwurzelung, Proletarisierung und Rumänisierung. Diese ökonomisch-soziale Entwicklung führte dazu, daß auch die kulturellen Traditionen und das Brauchtum, die aus bäuerlich-kleinbürgerlichen Verhältnissen erwachsen und mit der proletarischen Massengesellschaft nicht vereinbar waren, ihren unmittelbaren Lebensbezug verloren und zu verkümmern begannen, und das begünstigte die schleichende Assimilation. Eine Vertreibung außer Landes fand zwar nicht statt, aber die von der kommunistischen Führung ergriffenen Maßnahmen kamen in ihrem Endeffekt einer Vertreibung gleich. Jene, die auf deutscher Seite am Krieg teilgenommen hatten, konnten, obwohl sie auf Grund zwischenstaatlicher Verträge von der Wehrmacht einberufen worden waren, nicht ins Land zurückkehren, weil ihnen die rumänische Staatsbürgerschaft entzogen wurde; jene, die in die UdSSR deportiert worden waren, wurden zum großen Teil nach Frankfurt an der Oder zurückgeführt, von wo aus viele in die westlichen Besatzungszonen überwechselten; hier und in Österreich hielten sich schon die Sachsen aus Nordsiebenbürgen auf, die von der Wehrmacht beim Rückzug in Trecks mitgenommen worden waren.

Es lebten also, bedingt durch politische Maßnahmen des Dritten Reiches und den Zweiten Weltkrieg, Familien und Eheleute aus Siebenbürgen jahrelang getrennt, und die Familienzusammenführung wurde zu einem dringenden humanitären Anliegen; sie wurde erst nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Rumänien im Jahre 1967 möglich und ist seither zu einer Massenbewegung angewachsen, die ihre Eigendynamik entfaltete.
Ausgelöst wurde diese Entwicklung durch die Tatsache, daß die Deutschen in Rumänien seit vierzig Jahren im eigenen Land permanenten Vertreibungsvorgängen ausgesetzt sind. Der ständige Druck, der auf ihnen lastet, die materiellen Enteignungen und kulturellen Entmündigungen, die akute Gefahr der Assimilation führten zu einer seelischen Entheimatung in der Heimat und damit zu einem sprunghaften Emporschnellen der Zahl der Aussiedlungswilligen.
Es ist eine Tragödie, die sich hier abspielt, und das Tragische liegt darin, daß ein bei Kennern für die historische Zähigkeit bekannter Volksstamm, dem schon um 1625 der Dichter Martin Opitz aus eigener Erfahrung bescheinigt, er sei "germanissimi germani" - der deutscheste der Deutschen -, und dem in unserer Zeit der Kulturhistoriker Wilhelm Pinder eine "höhere Auffassung vom Deutschen" bestätigte, als Binnendeutsche sie besäßen, daß dieser Volksstamm die Heimat preisgibt, um sich nicht selbst preisgeben zu müssen. Angesichts dieses Vorganges von einem im Augenblick diktierten Nützlichkeitsdenken zu sprechen - was leider geschieht - ist vordergründig. Hier ist vielmehr geschichtlich geformter Instinkt für das Unumgängliche wirksam; man will bleiben, was man schon immer war: Deutscher.

 

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