Das weiß ich noch aus den Tagen meiner Kindheit

Erzählt von Johanna Leonhardt, geb. Stolz  (+15.12.2006)

 

Ich weiß noch, wie daheim im Dorf der Tag erwachte, wenn die Hähne erst vereinzelt und dann im Kanon das Licht begrüßten, das sich über den hohen Fichten zaghaft zeigte. Die Katze lief aus dem Stall, weil's drinnen lebendig wurde, sie stand auf dem breiten Stein, streckte sich, gähnte den Morgen an und begann sich zu putzen. Dann ging die schwere Türe hinter ihr auf. Der Stall wurde gefegt. Die Katze mußte weichen, weil ein riesiger Haufen aus gelbem Stroh, Kuh- und Pferdemist sich rasch auf sie zu bewegte und erst drüben beim Düngerhaufen zum Stehen kam. Pirinchen, so hieß die Graue, war in das sichere Stallfenster gesprungen. Sie wußte, daß es sich jetzt lohnte, hier zu verharren, denn bald war das Zischen der warmen Milch im Melkkübel, aus dem sicher auch in die Katzenteller gegossen wurde, bis vor die Stalltüre zu hören.

Jemand pfiff und klopfte die Bürsten beim Striegeln regelmäßig auf dem frischgeputzten Zementboden ab. Wie fleißig der Knecht gewesen war, konnte der Vater an der Anzahl der Staubfelder gleich erkennen.

In der Küche hatte man die große Herdplatte gerade mit Ofenschwärze (Tejel) eingerieben. Wurde dieses Pulver nicht mit etwas Essig aufgemengt? Während ich dieses erzähle, habe ich den besondern Geruch davon in der Nase und höre, wie die Ofenringe klappern, wenn die schwarze Bürste, der im Laufe der Jahre kaum noch Haare geblieben waren, hölzern darüberfährt.

Die alte Waschschüssel mit dem spröden Hanfabfall (Öhnen) und dem gebrochenen Reisig wurde vor den Ofen gezogen und dann eilig ein Feuer angezündet. Bald sang der große Wassertopf. Das duftende Maismehl und das Gerstenschrot konnte überbrüht und mit der langen Kelle dampfend aufgemengt werden. Die gestampften Kartoffeln standen schon vom Vortag bereit. Und jeder kennt das Rumpeln, Schnaufen und Quieken, das gleich zu hören war, wenn im Hof die Futtereimer klapperten. Man weiß auch, wie nach dem gierigen Schmatzen dann gleich ganze Scharen hungriger Spatzen von den Dächern auf die Trögefielen, um Nachlese zu halten, wenn sich die schwarz-weißen „Baaßner" satt ins frische Stroh gelegt hatten.

So ungefähr brach der Morgen an, der vom Turm her sicher mit einem ersten Geläute auch angezeigt wurde. Man horchte unter dem Arbeiten auf und über die Lippen kam halb- laut: "Harr, half es!" (Herr hilf uns!)


Ich weiß noch, daß es helle Sommertage waren, an denen mich das Dengeln der Sensen und Scharfklopfen der Hacken schon früh weckte. Die Augen hatte ich noch nicht auf getan, sah aber Vater und Großvater oben im Hof, jeden auf einem ausgebreiteten alten Erntesack mit angewinkelten Beinen am Boden sitzen. Vor sich hatten sie die Dengelstöcke in die Erde getrieben, und das zweistimmige Klopfen ersetzte das Weckerläuten.

Zu den silberigen Tönen trieb draußen auf der Straße gerade einer seine Ochsen mit ruhiger Stimme an.

Dann gesellte sich zu dem hellen Ping, Ping, Ping und dem Hoide Bodor das langgezogene Tuten des Schweinehirten, der auf einem Ochsenhom mit Messingmundstück zu blasen verstand: Tu, Tu, Tuuu! Ihm folgten der Kuh- und der Schafhirte mit ihren Herden, die auf dem Weg durchs Dorf aus allen offenen Toren immer mehr Zulauf bekamen. Dann ging es in Begleitung einer riesigen Staubwolke langsam hinauf zu den Weiden auf den Bergen.

So spielt mir die Erinnerung das alte Morgenkonzert erneut vor: Ich höre das Läuten der großen Kuhglocken, erkenne die Hörner der Hirten, auch das Blöken und Meckern fehlt nicht, und ich seh jetzt auch den Hund, dem ein Knüppel vom Halsband herunter vor die Füße hängt, die Schafe und Ziegen zusammentreiben. Ein eiliger Pferdewagen steigerte das Tempo. Das Ausgleichende bringt dann das träge Büffelgespann, und wenn man extra lauscht, ist das Klimpern der Ziegenzehen zu erkennen. Es klingt ungefähr, wie wenn man Murmeln in den hohlen Händen schüttelt.

Nun mischt sich eine Trommel in das Morgenkonzert unserer Dorfstraßen. Es ist Herr Ulmer, der Kanzleidiener, der mit der Trommel um den Hals und einem Zettel in der Hand dienst- eifrig durchs Dorf geht. Jemand ruft in den Hof: „Hir, em drummelt!" (Hör, man trommelt), und aus jedem Haus eilt mindestens ein Erwachsener auf die Straße.

Der Trommler beginnt seinen Rundgang auf dem Marktplatz. Dort stellt er sich auf, trommelt, bis er genügend Zuhörer vor den Toren der Häuser sieht und schielt dann aufsein Blatt. Gleich ruft er, so laut er kann und so laut er es noch dreißigmal durch das ganze Dorf durch- zuhalten schätzt, was ihm zu verkünden aufgetragen ist. Er schließt mit zwei Trommelschlägen und geht eilig weiter, um sich die Zuhörer des nächsten Straßenabschnittes herauszutrommeln.

Man erfährt, daß im Kirchenwald am Sonntagmorgen Holz verkauft wird, daß zur Gemeindearbeit gerufen wird, daß die Häuser beflaggt und die Bachgräben ausgehoben werden müssen, daß die Kinder des Jahrgangs 1929 gegen Pocken geimpft werden, daß der Tierarzt ins Dorf kommt und vieles andere noch. Zu meinen Bildern „trommelt" Herr Ulmer im Birthälmer Dialekt.

So wurde der Morgen in Reichesdorf immer lebendiger und Ruhe kehrte erst ein, wenn Mensch und Tier das Dorf für diesen Arbeitstag wieder verlassen hatten. Ich erinnere mich nicht, jemals in den Tag hinein geschlafen zu haben. Unsere Vorfahren waren fast alle Bauern und damit sind wir Morgenmenschen. Wie könnte es anders sein?



Ich weiß auch noch, wie sich daheim die Schlechtwettertage ankündigten: Da sprach die Türe zum Backhaus (Backes) eine ganz deutliche Sprache, wenn es einem Windstoß aus der bewußten Richtung gelang, ihren Flügel polternd zuzuschlagen. Dazu wickelte er die langen Wäscheteile mehrmals um das dicke Seil und hob dies von der steilen Astgabelstange (de Stepp), die sich, haltlos geworden, federnd quer über den Gehsteig vor dem Schöpfen warf.

An solchen Tagen ließ sich von den riesigen Speckhälften in der kühlen Vorratskammer leicht schneiden: die Schwarte war weich. Das Salz im irdenen Topf wurde feucht, und die Hühner gingen früher als an anderen Tagen schlafen; die Rauchfahnen stiegen nur mühsam aus den Schornsteinen, krochen die Firstziegeln entlang und verirrten sich sogar in den Hof.

Man übersah all diese Zeichen nicht, kannte den Ernst ihrer Bedeutung und richtete sich mit allem, was vor dem Regen erledigt sein sollte, danach. „Wie gut haben es doch der Handwerker und der Lehrer, denen regnet es nicht in die Werkstatt", sagten die Alten und versuchten gar nicht, den Neid darüber zu verbergen.

Heute ersetzt uns der Wetterbericht all die lieben Beobachtungen früherer Zeit. Was wären wir aber ohne ihn? Speck ist keiner in der Kammer, der Hühnerstall kann abends offen bleiben, die Wäsche wird elektrisch getrocknet, das Salz im Streuer bleibt rieselfähig, die Backhaustür hören wir nicht mehr, und qualmende Schornsteine sind verboten.


Ich weiß noch, wie daheim das Wasserpumpen klang und seh  es unter dem lauten Japsen armesdick und glasklar in den breiten Trog laufen. Großvater band um den hölzernen Stopfen einen weichen Lappen und klopfte mit einem Stein, der bereit lag, bis der Abfluß dicht war. Er hatte auch eine Lattenbrücke zusammengenagelt, die man quer über den Zementtrog legen konnte, wenn man den Eimer darauf stellen wollte.

Der Brunnen stand, und steht heute noch, gleich hinter dem Tor und fest an der Stübchenwand.

Das Stübchen war mir der liebste Raum im großen Haus. Durch das Straßenfenster blitzte die Morgensonne schon früh und tanzte dann über den langen Läufer, über den Tisch und mein Bett bis hin zur Türe; am Nachmittag zwängte sich das Licht von der Hofseite her warm durch die abgeschatteten Scheiben.

Mit den drei Fenstern war das Leben auf der Straße und am Brunnen nicht zu überhören und alles war so vertraut. Nach dem Rauschen hätte ich von unter der Steppdecke her genau sagen können, wie hoch das Wasser im Trog stand und ich wußte auch, ob Pferde oder Rinder zur Tränke kamen, klangen doch die Hufe der Vollblüter ganz anders auf dem Pflaster, als die der schweren Ochsen.

Wenn ich heute mein Wasser so pumpen wollte, würden sich alle Nachbarn von dem Lärm belästigt fühlen. Was wissen sie aber schon von einem eigenen Brunnen und von den Freiheiten, die um ihn lagern?

Mit diesen meinen Bildern, will ich nur den Anfang zu einem bunten und dicken Album machen. Erzählt nun Ihr, liebe Reichesdorfer, Euren Kindern und Enkelkindern, Freunden und Bekannten weiter vom Brotbacken, vom Keltern, vom Bechen (Waschen), vom „Kerbeserrlächt" (Kürbislaterne), vom „Fittem" und „Tschimeln" (abends auf der Straße Unfug treiben) und noch von vielen ändern schönen Dingen unseres alten Dorflebens, ehe alles vergessen ist! Das Erzählen eines Großvaters, einer Großmutter kann gewiß mit jedem Buch, das man sich nicht Zeit nimmt zu lesen, Schritt halten und ist sicher auch viel einprägsamer.

 

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