So lebt Reichesdorf heute noch in meiner Erinnerung

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Gerade 18 Jahre alt geworden, trat ich am l. September 1934 auf ein Jahr die Lehrerstelle in Reichesdorf an. Die Gemeinde stand noch unter Schock nach dem plötzlichen Tod ihres Predigerlehrers Simon Bruckner. - Die Kirchengemeinden hatten es sich zur Pflicht gemacht, ihre Lehrer und Pfarrer bei Neueintritt abzuholen und zu den Lehrer- und Pfarrversammlungen zu fahren. So wurde ich von Herrn Stolz Martin in Mediasch abgeholt und zum Offner'schen Haus Nr. 107 gebracht, wo die Pfarrgemeinde für den neuen Lehrer ein Zimmer gemietet hatte.

Reichesdorf hatte einen guten Namen. Unter den Lehrern galt die Stelle als „gehoben", und ich war sehr froh darüber, vom Presbyterium für ein Jahr gewählt worden zu sein. Ich war von Anfang an begeistert von Reichesdorf. Und das müssen sie mir glauben: so sehr gepflegte Häuser, Gassen, so gestriegelte Pferde und Kühe hatte ich noch nie gesehen (man kam damals noch nicht so viel herum). Was waren denn das für Leute, so adrett gekleidete Mädchen und Burschen, die Kinder so gepflegt und freundlich? Auch die Erwachsenen, sie waren auch an Werktagen „schöner" sorgfältiger gekleidet als etwa in Hetzeldorf oder Pretai und im Umgang mit Menschen gewandter, freundlicher.
- Es gab nicht überall so viele schöne große Höfe, ein großes Geschäft und gar ein stolzes Schulhaus, darin sogar ein „Turnsaal". Nirgends im schwäbischen Raum hab ich gleich nach dem Krieg so stattliche, gepflegte Schulhäuser gesehen wie in unseren siebenbürgischen Gemeinden. Nach dem Zusammenbruch durften wir das nicht sagen - heute aber haben mir das viele schwäbische Kollegen immer wieder bestätigt, wenn ihnen Aufnahmen gezeigt wurden. Das haben unsere Siebenbürger ihren Kindern zuliebe, der deutschen Schule zuliebe - ohne jegliche staatliche Hilfe getan. Darauf dürfen sie mit Recht stolz sein.
Im Schuljahr 1934/35 waren in Reichesdorf beschäftigt:

Pfarrer: Andreas Herberth
Rektor: Karl Ziegler
Predigerlehrer: Simon Mantsch
Junglehrerin: Edith Roth
Supplent: Hans Kandert
Kindergärtnerin: Käthe-Tante
Dorfrichter: Karl Femengel sen.
Kurator: Andreas Kloos
Organist: Hans Hügel

Vom St.-L.-Roth-Gymnasium her kannte ich in Reichesdorf vier Schulkameraden: Prof. Andreas Kloos, Pfarrerssohn Helmut Herberth (gefallen), Ernst Meyndt und Hans Schaas/Reichesdorfer.
Mir wurde die dritte Klasse zugeteilt: da saßen sie nun, Stolz Gredi, Pinnes Kathi, Ergas Hans, um nur einige zu nennen. Waren das muntere, fleißige, aufmerksame, temperamentvolle Kinder, die konnten lernen, prächtig singen, im geräumigen Schulhof springen. In der ganzen Schule herrschte eine vorbildliche Ordnung.
Mir ist nicht bekannt, daß es mal Schwierigkeiten gegeben hätte. Auch die Reichesdorfer Jugendlichen waren weithin bekannt als gute Sängerinnen und Sänger. Die Erwachsenen aber erzählten damals „Wunder" über Theateraufführungen, Singspiele u.s.w. mit dem damals längst verstorbenen Lehrer Arz. Ich höre sie heute noch singen auf dem Nachbarschaftsabend „Teure Heimat sei gegrüßt" oder auch „Komm auf die Wiese ins Schammertal".

Mich verbindet heute noch eine Freundschaft mit Hans Egon Alzner (Czaki Hans), mit dem wir nicht nur Löns-Lieder zur Gitarre sangen, sondern auch moderne Couplets.

Wie strebsam, fleißig und fortschrittlich die Reichesdorfer waren:
Lang Gust hatte damals schon eine große Schweinemästerei vor den Toren der Gemeinde - das Herdbuch-Vieh war der Stolz der Bauern - Pferdezüchter gab's auch. Der Tierarzt wurde schon öfter aus Mediasch geholt, zur Beratung, so auch Lehrer von der Ackerbauschule. So wurde z.B. auf Anraten der gepflegte Friedhof mit Thujapflanzen eingezäunt.
Wie ich den Fleiß der Reichesdorfer erlebt habe, sei kurz erzählt:
Die Kollegen aus Scharosch hatten zu einer Fortbildungstagung (Lehrerversammlung) eingeladen. Wir mußten sehr früh aufstehen. Noch bei Dunkelheit brachte uns ein Presbyterial- Wagen auf den Weg. Bezeichnend: im Dorf regte sich schon mancher Hof, am Hirschel- Brunnen wurde schon Wasser geschöpft, und als wir nach 5 km in Birthälm einfuhren, sah man nur hie und da ein Lichtlein brennen. Nach langer Weiterfahrt begegneten uns die ersten Büffelwagen auf dem Weg zum Feld - es war in Scharosch hellichter Morgen. Es ist merkwürdig, welche unbedeutenden Dinge in Erinnerung bleiben.

Ich frage mich oft, wie konnte so eine Ordnung entstehen und aufrecht gehalten werden? Da war ein Richter, ein würdiger, würdevoller Richter (Bürgermeister), der für alle Bevölkerungsteile da war und sehr gekonnt und diplomatisch mit dem Staat (Notar) verhandeln konnte. Das war eine weit vorausschauende Persönlichkeit. Herr Karl Femengel mußte in seinen jungen Jahren ungarisch lernen, und nun mußte er bereits rumänisch sprechen können. 1940, als deutsche Soldaten in Reichesdorf einquartiert waren, weilte ich öfter in Reichesdorf.

Das waren Persönlichkeiten, die für uns ihre Lebenserfahrungen einbrachten und die was zu sagen hatten, vor denen man Respekt hatte: um nur einige Namen zu nennen:
Bruckner, Nemenz, Lang, Draser, Salmen, Ergas, Kloos und viele andere. -
Für Ordnung, Anstand und Hilfe sorgten in Siebenbürgen, einzigartig in der Welt, die Nachbarschaften, die Schwesterschaften und Bruderschaften. Wo gab es noch Nachbarschaftszeichen (Noberziichen), die von Haus zu Haus die Nachbarn unterrichteten. Wo gab es noch den unentgeltlichen Fuhrdienst für kirchliche Angestellte? Wo gingen Männer im Winter gemeinsam in den Wald, um Holz zu schlagen für Kirche, Schule, Kindergarten, Pfarrer, Lehrer, Kindergärtnerin, weil das den Gehältern angerechnet wurde?
Das war insgesamt ein tüchtiges, fleißiges aber auch lustiges „Völkchen". Da braucht man sich nicht zu wundem, wenn schon seinerzeit der Stadtpfarrer und Liederdichter Carl Römer mit dem Komponisten Hermann Kirchner auch nach Reichesdorf kamen, im Haus des Notars Georg Meyndt abstiegen, dem Lautenschläger und Liedermacher bei einem Holzfleisch im Garten und einem Glas Mädchentraube lauschten. Deshalb gab es am 29. Juni 1896 in Reichesdorf ein großes Volksfest, Leute aus Mediasch und den umliegenden Gemeinden waren herbeigeströmt; Georg Meyndt hatte ein neues Lied mit der Dorfjugend eingeübt, und hier wurde es zum erstenmal gesungen:
„Am Hontertstreoch, am Hontertstreoch, di biät gor hisch am Moa".

Nicht umsonst hab ich die Reichesdorfer ins Herz geschlossen. Bis auf den heutigen Tag sing ich neben dem Holderstrauch am liebsten ein echt Reichesdorfer Lied von Georg Meyndt „Branchen um gräne Rin".

Wir führten ein einfaches Leben zu der Zeit und doch zögere ich keinen Moment, es als reich zu bezeichnen.

Hans Kandert
 

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